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220 Psychische Studien. VIII. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1881.)
nur in seinem Innern. Daher will Jeder Alles für sich,
will Alles besitzen, wenigstens beherrschen, und was sich
ihm widersetzt, möchte er vernichten. Hierzu kommt bei
dea erkennenden Wesen, class das Individuum Träger des
erkennenden Subjekts und dieser Träger der Welt ist,
d. h. dass die ganze Natur ausser ihm, also auch alle übrigen
Individuen, nur in seiner Vorstellung existiren, er
sich ihrer stets nur als seiner Vorstellung, also bloss mittelbar
und als eines von seinem eigenen Wesen und Dasein
Abhängigen bewusst ist; da mit seinem Bewusstsein ihm
nothwendig auch die Welt untergeht, d. h. ihr Sein und
Nichtsein gleichbedeutend und ununterscheidbar wird. Jedes
erkennende Individuum ist also in Wahrheit und findet
sich als den ganzen Willen zum Leben, oder das Ansich
der Welt selbst, und auch als die ergänzende Bedingung
der Welt als Vorstellung, folglich als einen Mikrokosmos,
der dem Makrokosmos gleich zu schätzen ist. Die immer
und überall wahrhafte Natur selbst gibt Ihm, schon ursprünglich
und unabhängig von aller Reflexion, diese Erkenntniss
einfach und unmittelbar gewiss. Aus den angegebenen
beiden nothwendigen Bestimmungen nun erklärt es sich,
dass jedes in der grenzenlosen Welt gänzlich verschwindende
und zu Nichts verkleinerte Individuum dennoch sich zum
Mittelpunkt der AVeit macht, seine eigene Existenz und Wohlsein
vor allem Andern berücksichtigt; ja, auf dem natürlichen
Standpunkt, alles Andere dieser aufzuopfern bereit
ist, die Welt zu vernichten, um nur sein eigenes Selbst,
diesen Tropfen im Meere, etwas länger zu erhalten.
„Diese Gesinnung ist der Egoismus, der jedem Dinge
in der Natur wesentlich ist. Eben er aber ist es, wodurch
der innere Widerstreit des Willens mit sich selbst zur
fürchterlichen Offenbarung gelangt. Denn dieser Egoismus
hat keinen Bestand und Werden in jenem Gegensatze des
Mikrokosmos und Makrokosmos, oder darin, dass die Ob-
jektivation des Willens das prineipium individuationis zur
Form hat und dadurch der Wille in unzähligen Individuen
sich auf gleiche Weise erscheint und zwar in jedem derselben
nach beiden Seiten (nach Wille und Vorstellung)
janz und vollständig. Während also jedes sich selber als
($er ganze Wille und das ganze Vorstellende unmittelbar
gegeben ist, sind die übrigen ihm zunächst nur als seine
Vorstellungen gegeben; daher geht ihm sein eigenes Wesen
und dessen Erhaltung allen andern zusammen vor. Auf
seinen eigenen Tori blickt jeder als auf das Ende der Welt,
während er den seiner Bekannten als eine ziemlich gleichgültige
Sache vernimmt, wenn er nicht etwa persönlich da-
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