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Prof. Zöllner: Der Unterschied der Transcendental-Physik ete. 19
zum Dogma erhebt und die relativen Grenzen ihrer Erkennt-
niss für absolute Grenzen erklärt. Dass dies eine grobe
Selbsttäuschung sei, hat bereits Nervton in der Einleitung
zu seinen Principien hervorgehoben, indem er bemerkt, dass
wir nicht einmal die allgemeinste physikalische Eigenschaft
eines Körpers bezüglich seiner Ruhe und Bewegung absolut
beantworten können. Wir wissen heute aus astronomischen
Beobachtungen, dass auch die Sonne nicht ruht, sondern
abgesehen von ihrer Rotation auch eine fortschreitende Bewegung
unter den Fixsternen besitzt. Ob aber der Schwerpunkt
unseres Fixsternsystems im absoluten Räume sich
bewege oder in Ruhe verharre, darüber wird uns auch die
fortgeschrittenste Wissenschaft keine Auskunft geben können.
Wir sind also über die wirklichen Bewegungen der uns umgebenden
Körper völlig in Unwissenheit und müssen uns
daher mit der Erforschung ihrer relativen Ortsveränderungen
begnügen. Newton sagt*) wörtlich: —
„Da es nun möglich sein kann, dass irgend ein Körper
in der Nähe der Fixsterne oder weit jenseits derselben absolut
ruhe, man aber aus der gegenseitigen Lage der Körper
in unserer Nähe nicht erkennen kann, ob einer von diesen
gegen jenen entfernten dieselbe Lage behält, so kann die
wahre Ruhe aus der Lage dieser unter sich nicht abgeleitet
werden."
Sind also der Naturwissenschaft bereits in dieser für
sie fundamentalen Frage durch die Beschränktheit der menschlichen
Wahrnehmung unübersteigliche Grenzen gesteckt, so
ist sie nach logischen Gesetzen in noch viel höherem Grade
zur Anerkennung dieser Grenzen gegenüber dem Inhalte
wirklicher Offenbarungen gezwungen, welche uns auf andern
Wegen, als den uns bis jetzt bekannten, vermittelt werden.
So unabhängig also die Naturwissenschaft bezüglich
ihrer Methode und Ziele von jeder Offenbarung ist, indem
sie niemals den Inhalt berichteter, sondern stets nur beobachteter
Thatsachen zum Ausgangspunkte ihrer Deduc-
tionen macht, ebenso ohnmächtig ist sie gegenüber der Frage,
ob der Inhalt einer wirklichen Offenbarung wahr oder falsch
sei. Dagegen ist die Möglichkeit gegeben, dass die fortschreitende
Wissenschaft allmälig den Umfang und Inhalt
unserer Erkenntniss derartig erweitert, dass von diesem erweiterten
Standpunkte aus der Inhalt einer Offenbarung von
Widersprüchen befreit wird, welche für eine niedrigere Stufe
unserer Erkenntniss vorhanden waren. Enthielte z. ß. eine
derartige Offenbarung einen Bericht über eine grosse vom
*) Principien, Deutsche Ausgabe von Wolfers S. 28.
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