http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1882/0035
G. v» Langsdorf: Der Gottesbegriff als geistiges Naturgesetz. 27
nimmt,*) dann fällt es unserem mehr spiritualistisch gearteten
Naturell nicht schwer, ob wir mehr zu Davis oder zu
Allan Kardec hinneigen sollen. Doch ich will mich hier
nicht weiter auf den Vergleich dieser beiden, in der Hauptsache
— der individuellen Unsterblichkeit — übereinstimmenden
und in Nebenfragen auseinander gehenden Philosophen
einlassen, sondern den Begriff der Gerechtigkeit Gottes, nach
der in mir aufgenommenen Auffassung, wiederzugeben suchen.
Die verschiedenen Zweige bis jetzt erreichter Wissenschaft
weisen uns nach, dass das ganze Schema des Universums
nach einem Plane der Kunst, des "Wohlwollens und
der Ueberlegung sich entwickelt hat. Die geologischen Argumente
sind viel stärker als die theologischen. Das Studium
der Anthropologie, selbst von dem Standpunkte eines
Darwin aus, schJiesst nicht das unaufhörliche Wirken des
Geistes aus; denn Intelligenz sehen wir ja überall, sei es
in der Entwickelung eines Planeten, eines Menschen oder
des Universums. Wenn der Mensch sich thatsächlich aus
den niederen Typen zu dem entwickelt hat, was er jetzt ist,
ist es dann thöricht, anzunehmen, dass seine Individualität
einer stets noch höheren Entwickelung fähig ist? Gewiss
nicht!
Die Menschheit hat sich durch neue Einsichten aus
ihrer ursprünglichen Unwissenheit zur jetzigen Höhe emporgearbeitet
. Solche neue Einblicke in die herrschenden Naturgesetze
hat sie namentlich in diesem 19. Jahrhundert erhalten.
Die alten theologischen und philosophischen Ansichten sind
bereits zur Reife gelangt, noch nicht aber die Vernunft und
der Verstand, aus dem diese Ansichten entstanden sind.
Erst wenn die volle Reife der Vernunft erreicht ist, wird
auch die volle Wahrheit erlangt sein. Und die volle Wahrheit
wird darin bestehen: Religion und Wissenschaft auf
die gemeinschaftliche Basis der Naturgesetze zu stellen, d. h.
Wissen und Glauben mit einander zu vereinigen.
Der Mensch ist ein Theil der Natur; aber die Natur
des Menschen offenbart sich vollkommener, als irgend ein
anderes Wesen, weil er allein neben Körper und Seele auch
Geist besitzt. Dass die heutige Wissenschaft die Selbstständigkeit
des Geistes noch läugnet, ist kein Beweis, dass
er nicht existirt.
Alle civilisirten Nationen wissen durch ihr Geschichtsstudium
, dass jede Art von Laster im Abnehmen begriffen
ist und die Tugenden immer verfeinerter werden. Gegen
diese optimistische Anschauung kann die pessimistische mit
*) Vergl.: „Lieht, mehr Licht" Nr. 12, December 188L
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1882/0035