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Kurze Notizen.
vielmehr der Mensch frei und für seine Handlungen verantwortlich
ist." Im Vorhergehenden hat er nachgewiesen, dass
der Mensch seiner Thaten eigener Schmied sei. Von der
materialistischen Lehre sagt er, sie entspringe zwar dem
Bestreben, streng wissenschaftlich vorzugehen, indessen sie
gerathe dabei mit sich selbst in Widerspruch. Sie verwerfe
zunächst eine ganz unentbehrliche Annahme, nämlich die
unumstössliche Thatsache, dass für die Entstehung der Materie
eine unbedingte Ursache vorhanden gewesen ist. Es
liege so unendlich viel über unser Vorstellungsleben hinaus,
dass unmöglich Jemand so vermessen seih könne, zu sagen,
dass Das, was wir nicht zu begreifen und zu erklären vermögen
, nickt existirt. —* Ob der geehrte Redner dabei wohl
im Stillen auch an die noch immer in gewissen wissenschaftlichen
Denkerkreisen verfehmten Thatsachen und Wahrheiten
des modernen Spiritualismus gedacht haben mag? Wer weiss
es! — Die GesamilitjLectüre dieser Referate ist zu empfehlen,
weil dieselbe echt .^spiritualistischer Natur und Tragweite
ist durch Betonung*:der Individualität und Selbstverantwort-
liphkeit des menschlichen Geistes, welcher nur unsterblich
ist durch sein von *j&ott gewolltes Hervorgehen aus seinem
Urgründe und 'seinen eigenen freiwilligen Wiederanschluss
an" das Absolute oder göttlich Gute.
V) Ein Seele%räthsel. In dem Dorfe Gross-Gohla,
% Meile von Janowitz, im Kreise Wongrowitz, wohnt bei
dem Bauer Belter seit ca. 2 Jahren ein 52 jähriger verheirateter
Mann Kamens Schüler, der, wenn er sich ermüdet
von der Arbeit oder vom Schlaf übermannt hinlegt
oder setzt, in eine Art Starrkrampf fällt. In diesem Zustande
fängt der Mann an, zu sprechen; er hält eine ganz
zusammenhängende, bibelgemässe, religiöse Predigt, und das
mit so lauter Stimfiae, dass man ihn sogar auf dem Hofe
hören und verstehen kann. Diese Predigten sind gewaltige
Busspredigten, und Jeder, der sie hört, wird tief ergriffen,
von einer (wenn ich so sagen darf) lebenden Leiche solches
zu hören, zumal er sich nur auf dem Grunde der Bibel bewegt
. Das wunderbarste ist: der Mann lebt nur in sehr
dürftigen Verhältnissen, besitzt nur die allerdürftigsten
Schulkenntnisse, und während er spricht, läuft ihm der
Schweiss aus allen Poren vom ganzen Körper, und wenn
er erwacht, so weiss er nicht, dass oder ob er gesprochen
hat. Diese Predigten dauern 1—2 Stunden, schliessen mit
dem Gebet für Gläubige und Ungläubige, für König and
Vaterland, und enden mit dem Singen des „drei mal Heilig".
Dem Kaiser und dem Ober-Konsistorium ist hiervon bereits
Anzeige gemacht worden.
Jos*, f. Grenzgeb.
der Psychologie
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