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Louisa Andrews: Vorlesungen über praktischen Spiritualismus. 73
welche sie in einer festgesetzten Zeit erhalten, dass sie offenbar
vergessen, die Beschaffenheit derselben zu prüfen.
Ausser dieser Classe von redenden Philosophen giebt
es noch eine grössere: — Die Männer und Frauen, welche
ihre eigenen kleinen Privat-Inspirationen aus angeblich
hoch erhabenen Quellen beziehen. Ich kannte eine alte
Dame in Amerika, welche kaum ausgehen oder aufstehen
wollte, um das Feuer zu schüren, bevor nicht NapoUon
Bonaparte ihrem innern ßewusstsein seinen Beifall zu
jener besondern Handlung angezeigt hatte. Diese Art von
Täuschung ist die gewöhnlichste und, wie es mir scheint,
die nachtheiligste, welche der Spiritualismus zu bekämpfen
hat. Thatsachen sind Thatsachen und können am
Ende kaum verfehlen, zu beweisen, und sind den Personen,
welche Freude daran haben, mehr oder weniger lehrreich;
allein dieser Aberglaube ist schädlich und schwächend für
die geistige und moralische Natur derjenigen, welche ihn
für spirituelle Wirklichkeit halten. Thatsachen! sind sie
nicht göttliche Wahrheit, die sichtbare, hörbare, fühlbare
Gestalt annimmt?
„Thatsachen, sind sie, o Mensch! das Bild nicht von Ihm, der regieret?
Ist dieses Bild nicht Er, obgleich Er nicht ist, was Er scheint?"
Unser himmlischer Vater hat uns die Sinne als unsere
Lehrer in diesem Leben gegeben, und von ihnen lernen wir
wie von keinem andern Meister. Selbst Logik kann täuschen
und der Glaube kann fehlen, und in unserem ängstlichen
Sehnen rufen wir laut: —
„0, berührte mich nur eine einst zärtliche Hand
Und der Ton einer Stimme, die mir sterbend entschwand!
Diese ergreifen Gemüth und Herz, wie kein logischer
Beweis, keine Theorie und keine inspirirte Beredtsamkeit
es können. Spiritualismus ohne Phänomene würde
eine Seele sein ohne Körper — nur eine Form von religiösem
Glauben und (nach dem Anschein zu urtheilen) eine besonders
unbestimmte Form, ein missgestalteter Geist, kaum zu
erkennen! Swedenborg begriff und verbreitete viele von
jenen Wahrheiten, welche wir schätzen müssen, und an
deren Empfang und Besitz durch den Spiritualismus Millionen
sich erfreut haben; aber er und seine Anhänger hatten
nur Worte, um der Welt diese Wahrheiten kund zu geben,
— und wie Wenige sind durch diese wörtliche Belehrung
zur Erkenntniss derselben gekommen! Von einem kleinen
Schlag, — einer Berührung einer Geisterhand, — einem
Flüstern einer Geisterstimme — können wir wirklich sagen,
was Tennyson von der kleinen Blume singt: —
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