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74 Psychische Studien. IX. Jahrg. 2, Heft. (Februar 1882.)
„Blümchen in der Mauerritze,
Komm herab von Deinem Sitze,
Zeige mir in meiner Hand,
Was an Dir ich noch nicht fand: —
Könnt ich Alles von Dir sehn,
Würd' ich Mensch' und Gott verstehn!"
In unsern Phänomenen liegen die Geheimnisse von
Geist und Materie, von Leben, Tod und Unsterblichkeit
verborgen; und nur durch das sorgfältige Studium dieser
unzweifelhaften Thatsachen können wir lernen, die Probleme
zu lösen, die uns jetzt noch verwirren: denn obgleich die
Lippen der Sphinx stumm sind für Diejenigen, welche in
ihrem unerforschlichen Angesicht und in der zauberischen
Gestalt nur eine seltsame, phantastische Form sehen, hinter
der kein wesentliches Geheimniss lauert, so sind sie doch
immer bereit, in die Ohren von v/eisen und ernsten Suchern
der Wahrheit die Worte ewigen Lebens zu flüstern; und
Diejenigen, welche lernen, die so vorgelegten Fragen richtig
zu beantworten, werden am Ende das Räthsel der Zeiten
verstehen.
Der Gottesbegriff als geistiges Naturgesetz.
Von Dr. ©. v. Ijangsdorff.
II.
(Schluss von Seite 34.)
Die Gottheit bevorzugt keine Persönlichkeit, theilt keine
Gnade aus. In seiner Ur-Gerechtigkeit behandelt er alle
seine Kinder mit gleicher Liebe und Güte. Es ist doch
wahrhaftig klar, dass, wenn ein Geist Glückseligkeit und
Glorie durch Kampf mit Widerwärtigkeiten erringt, alle
Menschengeister dasselbe Gesetz einhalten müssen, um
glücklich zu werden. Ob man die Theorie der Wiederein-
körperung (von dem grossen Medium Mrs. Cora Richmond
„reerabodiment" genannt, d. h. gänzliche Auflösung und
dann wieder eine neue Organisation ganz von vorne anfangen
müssend,) als wahr annimmt oder nicht, so muss
man, wenn man das Gefühl für Gerechtigkeit hat, eingestehen
, dass es augenscheinlich unbillig ist, wenn man annehmen
wollte, dass einige Seelen eine solche herkulische
Arbeit zu vollführen haben, um auf den rechten Pfad zu
kommen, während andere das Ziel spiritueller Vollkommenheit
durch einen kurzen und geebneten Weg zu erreichen
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