http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1882/0095
Die Wurzeln des modernen Spiritismus bei Hesiod. 87
Die Wurzeln des modernen Spiritismus bei Hesiod,
Prof. Ferdinand Hüitemann hat zu Strassburg im Elsass
einen Vortrag „Ueber Volksreligion und Geheimdienst der
Hellenen gehalten, welcher in der 2. Abtheilung der „Neuen
Jahrbücher für Philologie und Pädagogik" (Leipzig, B. G.
Teubner) in 9., 10. und 11. Hefte 1881 abgedruckt steht.
Nach ihm ist der Dichter Hesiod (850 v. Chr.) der Vorläufer
und erste Vertreter einer neuen, von der Homerischen durchaus
verschiedenen Richtung, der Vater der Mystik. Er bereitete
den Boden vor, auf welchem in der Zeit zwischen ihm
und den Perserkriegen die sog. Orphische Poesie mit ihren
seltsamen Vorstellungen über Weit, Menschen und Götter, mit
den labyrinthischen Irrgängen einer geheimnissvollen Theologie
, mit ihren orakelhaften Weisheitslehren über Leben
und Tod, Busse und Versöhnung so üppig wuchern sollte.
Diese mystischen Poesien wurden zur Zeit der Pisistratiden
in Athen von dem gelehrten Sammler Onomakritos zusammen
gestellt, überarbeitet und jedenfalls durch eigne Zuthaten
vermehrt. Jene Gedichte galten aber als uralt; ihr sagenhafter
Verfasser Orpheus wurde nebst andern priesterlichen
Sängern ähnlichen Characters sogar in vorhomerische Zeiten
versetzt; doch sind sie nur mythische Gestalten, an die selbst
der nicht allzu schwergläubige Herodot nicht mehr glaubte.
Sie wurzelten nur in der pelasgischen Vorzeit.
Durch das ritterliche Hellenenthum Homerts war jene
mystische Anlage des ursprünglichen pelasgischen Hirten-
und Bauernvolkes auf längere Zeit zurückgedrängt worden,
bis sie in ruhigeren Zuständen, wo der Glanz kriegerischer
Thaten allmählich erblich und die harte Arbeit des Alltagslebens
wieder ihr Recht behauptete, von Neuem in
ernster Beschaulichkeit und sinnender Grübelei hervortrat
und wieder anfing, in Religion und Leben der Griechen
— besonders in den die ernste und heitere Seite desselben
vertretenden „Eleusinischen Mysterien" Attika's — eine
Rolle zu spielen. In ihnen finden wir nun gleichsam die
Wurzeln des modernen Spiritismus wie Spiritualismus.
Wenn diese Mysterien auch an altpelasgischen Naturdienst
anknüpften, so drang doch gleichzeitig jener in Homefs
Poesie so klar ausgeprägte Grundzug hellenischer Religion
und Lebensanschauung siegreich hindurch, wonach die Götter
als menschenähnliche Persönlichkeiten und als Träger von
Ideen erscheinen, welche die sittliche Weltordnung begründen
und bewegen, während die ursprünglichen Vorstellungen
von waltenden Naturkräften ganz in den Hintergrund
treten. Bei alledem bleibt aber die Wahrheit be-
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1882/0095