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C. E. Noessler: Wer Ohren hat zu hören, der höre! 107
er auf den Tisch gelegt habe? Der Knabe sagte, dass das
ein Ring sei, der keinen Stein habe, und dass der Bing
werthlos, nur höchstens fünfzig Pfennige koste» Herr 0.
wollte nun behaupten, dass es sein Trauring sei, der, das
niüssten wir ihm wohl zutrauen, nicht werthlos sein könne.
Der Knabe blieb aber ganz hartnäckig bei seiner Aeusserung
und sagte schliesslich: „Wenn es Dein Trauring ist, so bist
Du vom Goldschmied betrogen worden; der Ring kostet
fünf Groschen." — Ich weiss nicht, warum? so unschuldig
ich mich bei dieser Afiaire fühlte, so überkam mich doch
ein ganz drückendes Gefühl, weil ich meinem gut situirten
Freunde, so einen schlechten Ring als Trauring zu haben,
nicht zutrauen konnte, ich auch bei aller Anstrengung meiner
damals noch guten Augen nicht sehen konnte, ob der Ring
echt oder unecht sei. Nach langer Debatte riss Herr 0.
dem Knaben die Binde herunter, bestätigte mit Entzücken
dessen Aussage als vollständige Wahrheit, weil er sich zu
diesem Zwecke lediglich diesen Ring gekauft, um uns selbst,
vorzüglich mich, zu täuschen. Bin Stein fiel mir vom Herzen,
und eine neue, wunderbare Wahrheit war constatirt.*)
Die zweite Episode spielt sich in Dresden ab und zwar
in der Wohnung des damaligen Bezirksarztes Dr. Pf äff
(Verfasser des Buches: „Das Traumleben"). Es war im
August des Jahres 1867, als ich diesen Arzt aufsuchte und
eine Erklärung dieser phänomenalen Erscheinung wünschte.
Derselbe verband dem Knaben die Augen, hielt ihm verschiedene
Stellen aus Büchern seiner Bibliothek vor und
war vor Erstaunen sprachlos, als der Knabe jede Stelle gelesen
. Hier muss ich einschalten, was später von Wichtigkeit
ist, dass der Knabe mit verbundenen Augen den Kopf
stets so hielt, dass das rechte Auge in die Sehlinie kam,
niemals aber den Kopf so bewegte, als wolle der Knabe an
dem Nasenflügel heraus- oder hervorsehen. Als nun der
Arzt den ganzen Kopf verhüllt hatte, versagte die geheimnissvolle
Kraft den Dienst, trotzdem es nicht möglich war,
wirklich sehen zu können, da die Augen mit einer schmalen,
schwarzen Binde und darüber noch mit einem breiten Tuche
bis zu den Nasenlöchern bedeckt waren. So wurde ich den
nächsten Tag noch einmal beschieden und sofort mit den
Worten empfangen: „Ihre Sache ist Schwindel, der Knabe
hat im rechten Auge eine ungeheure Sehkraft und zugleich
Accommodation, so, dass er dieses Auge bis zur Nasenspitze
herabdrücken und so die Täuschung vollbringen kann. Sie
*) Es ist das nur ein gutes Beispiel von magnetisch-hellsehendem
Gedankenlesen, ohne dass ein jenseitiger Geist dabei im Spiele zu sein
brauchte. — Die Red.
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