http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1882/0146
138 Psychische Studien. IX. Jahrg. & Heft. (März 1882.)
mit Kohlensäure geschwängert, die durch ihre Einwirkung
auf die Nervenmittelpunkte im Gehirn sowohl Be-
wusstsein wie Empfindung vernichtet. Der Kranke
versinkt allmälig in ein dumpfes Brüten, seine Lippen nehmen
eine graubläuliche Farbe an, das Gesicht wird kalt und
bleich, ein kalter Schweiss sammelt sich auf der Stirn, auf
der Hornhaut des Auges zeigt sich ein kleiner Ueberzug,
und mit oder ohne Zuckungen sinkt der Sterbende seinem
letzten Schlaf in die Arme.
Aber da nach dem Vorangegangenen die Fähigkeit, Be-
wusstseinse indrücke zu empfangen, entschwunden ist, so
muss auch der sogenannte To deskampf ein rein mechanischer
Vorgang sein. Selbst in Fällen, wo die sinnliche
Wahrnehmung bis zuletzt anhält, ist das Bewusstsein gewöhnlich
ruhig und gesammelt, der Körper frei von Schmerzens-
empfindung. „Wenn ich nur eine Feder halten könnte, so
würde ich niederschreiben, wie leicht und angenehm es ist,
zu sterben!" waren die letzten Worte des berühmten Wundarztes
Wm. Hun*cr, und des französischen Königs Ludwins
XIV. letzte Worte sollen gewesen sein: „Ich glaubte,
das Sterben sei schwerer!" Lord Cottingwood, der inmitten
eines wüthenden Sturmes auf dem Mittelmeere starb, antwortete
einem Freunde auf die Frage, ob das Schwanken
des Schiffes ihn störe: „0 nein, nichts mehr kann mich
stören, denn ich sterbe, und es musa Timen, wie Allen, die
mich Heben, ein Trost sein, zu sehen, wie behaglich ich zu
Ende gehe."
Alle, die dem Tode durch Ertrinken nahe waren
und wieder zum Bewusstsein gebracht wurden, versichern,
dass sie im Augenblick, wo sie zu sterben glaubten, nur
wenig litten. Capitain Marryat behauptet sogar von seinen
Empfindungen im Augenblick, wo er zu ertrinken glaubte,
dass sie in Wahrheit angenehm waren. „Nachdem der
erste Kampf ums Leben vorüber war," erzählt er, „nahm
das um mich herum schiessende Wasser den Anblick
wallender grüner Felder an. Es war keine schmerzliche
Empfindung, sondern eine Empfindung, als ob ich allmälig
in dem weichen, hohen Gras einer kühlen Wiese niedersänke
/4 — Dies ist nun genau der Zustand beim Tode
infolge von Krankheit. Empfindungslosigkeit bricht
herein, der Geist verliert das Bewusstsein der Aussendinge,
und der Tod stellt sich bald und ruhig in Folge des Erlöschens
der Functionen ein. Der durch Chloroform erzeugte
Zustand der Empfindungslosigkeit ist von ähnlichen
Visionen begleitet, wie diejenigen, die sich bei dem Sterbenden
einstellen. Die Gegenwart ist vergessen, und die
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1882/0146