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Gr. C. Wittig: Neuere Beobachtungen und Streitfälle etc. 175
brauchen wir nun auf keiner Seite einen Betrug, oder eine
absichtliche Täuschung, oder gar höllische betrügliche Geister
im Hintergrunde, oder ein abgefeimtes Medium voll List
und Falschheit zu wittern, sondern nur das Ganze als ein
Spiel der durch seine so religiös gestimmte Umgebung magnetisch
- und magisch-erregten Phantasie und psychischen
Gestaltungskraft des Mediums zu betrachten.
Wir hätten hier bereits einen solchen Fall, wie wir uns
denselben in unserer Note des Februar-Heftes 1882, S. 84
und 85 als Zukunfts-Experiment gewünscht haben. Cirkel
und Materialisations-Medien werden in Zukunft nicht bloss
die Gestalten Verstorbener, sondern auch die Lebender,
und schliesslich auch noch rein idealisirte Gestalten plastisch
hervorzurufen im Stande sein, so dass uns die Gestalt
der Germania oder Saxonia dereinst noch psychisch erscheinen
und die Hände drücken und mit uns ganz aus ihrem künstlerisch
gedachten Geiste hervor sprechen wird, ähnlich wie
die Reiterstatue des Comthurs mit Don Juan. Dürfen wir
uns verwundern, wenn dann jeder besonders geschulte Cirkel
seine ganz eigene Geister- und Lieblingstheorie von den erscheinenden
Geistern docirt erhalten wird? Die clairvoyanten
Nonnen gewisser Klöster, wie z. B. die heilige Juliana, welche
durch eine ihrer Visionen die Ursache des grössten Festes
der katholischen Kirche, der Frohnleichnamsfeier wurde,
dürften einen solchen Anhaltspunkt bieten. Die Rein-
carnationslehre wird dabei zum Tröste ihrer Anhänger auch
nicht aussterben. Wir werden als Kriterium der Richtigkeit
aller dieser verschiedenen Richtungen nur die Ver-
gleichung des gesunden Verstandes und unsere eigene gesunde
Vernunft behalten und uns davon eklektisch wählen,
was von unserer kritisch geschulten „Psyche" als mit der
vollen Wirklichkeit des Lebens in Uebereinstimmung erkannt
wird. Ja noch weiter, Cirkel und Medien werden
dahin gelangen, die uns von Albertus Magnus berichteten
Zauberwunder zu verrichten, welche von ihm um das Jahr
1249 zu Köln dem damaligen deutschen Gegenkaiser mitten im
Winter in einem blühenden Klostergarten vorgeführt worden
sein sollen. (Man sehe unseren Artikel: „Verwandte Erscheinungen
bei Faust und Albertus Magnus" im Februar-
Hefte 1879, S. 90 und 91 der „Psych. Stud/<)
Dergleichen von ihrem Cirkel magnetisirte Medien geben
uns ein plastisches subjectives Traumbild ihrer inneren
Psyche wieder, welches ganz seinen eigenen Phantasiegesetzen
folgt. Nicht unser tagheller selbstbewusster Geisteszustand
ist der Maaszstab für dergleichen Erscheinungen,
da wir in ihm immer nur einzelne, ganz bestimmte Objecte
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