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176 Psychische Studien. IX. Jahrg. 4. Heft. (April 1882.)
überschauen, während alle übrigen im Schoosse der Vergessenheit
oder Erinnerungsfähigkeit ruhen; sondern unser
eigener seelischer Zustand im Traumleben liefert uns den
Schlüssel zur Auflösung dieser wundersamen Probleme.
Unser Traumleben ist der solchen Gestaltungs-Medien
ebenbürtig gegenüberstehende Zauberer. Wir sehen in ihm
viele leibhaftige Personen auf einmal vor uns, verkehren
mit Lebenden und Abgeschiedenen, sprechen mit ihnen
ganz Yerschiedenes, erhalten oft merkwürdige Aussprüche,
hören, riechen, schmecken und fühlen Wundorbarliches —
und dennoch haben wir es nur mit subjectiven Traumbildern
unserer eigenen Psyche zu thun. Wenn wir im Traume
ganze Gegenden mit Dörfern und Städten, fernen Bergen
und Burgen schauen, können wir doch nicht behaupten
wollen, dass wir solche realiter in uns oder um uns hätten ?
Ihre Vorstellung ist eine rein subjective, weil sie einer
im erwachten Zustande sinnlich ergeifbaren objectiven
Wirklichkeit nicht entspricht. Alle diese Bilder und Vorstellungen
ruhen in der schlummernden Psyche des Menschen.
Ebenso alle bei Nervengestörten mit sinnlicher Leibhaftigkeit
auftretenden Hailucinationen. Sie zeigen dem
Hallueimrten Personen und Dinge ausser ihm, welche kein
Anderer sieht. Er projicirt das, was in ihm vorgeht, ausser
sich in die reale Welt. Und doch existiren dergleichen
Gestalten in der realen Welt nicht wirklich, sondern nur
in der Psyche des Hallucinirten.
Gehen wir noch einen Schritt weiter, und betrachten
wir die durch den ffansen'schen Magnetismus Hypnotisirten,
welche wirkliche Dinge vor sich sehen und doch mit anderen
gleichzeitig vorgespiegelten verwechseln, Sinnestäuschungen
leibhaftiger Natur erfahren und dennoch in rein subjectiven
Illusionen befangen sind, so nähern wir uns vielleicht dem
Bereiche der eigenthümlichen Gestaltungskraft unserer
Materialisations - Medien*). Sie sind mit einer speci-
fischen Nervenkraft begabte Menschen, welche durch den
Magnetismus ihrer Umgebung gleichsam nach Aussen gezogen
wird. Ihr unbewusstes Bauchgehiraleben überwiegt
das obere bewusste Gehirn. Um sie her klopft es, rumort
es, gehen erstaunliche Dinge vor, welche wir uns nur durch
das aus dem Organismus zeitweilig heraustretende und
wirkende psychische Leben selbst erklären können. Besondere
jenseitige Geister dafür anzunehmen, auch wenn
*) Eine ähnliche Ansicht hat übrigens schon Herr Dr. Emmi. Schärer
in seinem Artikel: „Dr. Günther in Zürich über Spiritismus und Clair-
voyance" im Nov.-Heft 1880 der „Psych. Stud." ausgesprochen. — Ref.
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