http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1882/0185
Gr. C. Wittig: Neuere Beobachtungen und Streitfälle etc. 177
sich solche Erscheinungen selbst dafür ausgeben, erklärt
die Sache nicht besser, als wenn wir lediglich beim eigenen
Geiste und seinen subjectiven Traum- und Hallucinations-
Zuständen stehen bleiben, die wir doch genauer kennen, als
fremde Geister. Wir ersparen uns hierbei viele Täuschungen,
wenn wir uns stets bewusst bleiben, dass wir es in allererster
Linie dabei mit subjectiven Zuständen unseres
eigenen Seelenlebens zu thun haben. Es ist eine Eigenart
unseres seelischen und geistigen Lebens, alle Dinge zu
personificiren. Daher rühren die Geister und Geistergestalten
. Jeder Dichter personificirt seine Gedanken und
Ideale in bestimmten Personen Er treibt sie bis zur Aufführung
durch andere Künstler, Werden sie darum wirkliche
leibhaftige Personen ausser dem Dichter? Sie bleiben
seine subjectiven Gestalten, Wir alle denken unwillkürlich
sofort an unsere Verstorbenen, sobald uns etwas Ausser-
gewöhnliches passirt. Nun aber sagen uns diese angeblichen
Verstorbenen leider selten etwas mehr von sich, als wir
schon selbst von ihnen wissen oder erlebt haben, oder was
von ihnen etwa noch im Vergessenheitsschoosse unserer
Erinnerung ruht. Dies verräth sichtlich, dass wir es nicht
mit den wirklichen transcendentenGeistern, sondern
nur mit deren subjectiven Vor Stellungsbildern zu thun
haben, welche in unserer Psyche mit photographischer
Treue ruhen und durch ein solches Medium vermittelst der
Gabe magnetischen Gedankenlesens*) zur geschriebenen
, gesprochner, oder gar leibhaftigen Erscheinung
erweckt werden. Wir stehen dann freilich überrascht einem
solchen Gebilde gegenüber, das doch aber nur das reflectirte
Spiegelbild unserer eigenen vergessenen Vorstellungen ist.
Wie wir uns über uns selbst oft zu verwundern vermögen,
lehren die Fälle, wo wir heute einen Brief schreiben, ihn
unvollendet hinwerfen, weil uns sein Inhalt nicht gefällt,
und wenn wir ihn dann nach einiger Zeit wieder vor Ge-'
sieht bekommen, erstaunen wir über uns selbst, so etwas
Vortreffliches geschrieben zu haben. Aehnlich stehen unsere
eigenen Erinnerungbilder im Traume wie im Materialisationszustande
als gleichsam total fremde vor uns und frappiren
uns durch ihre scheinbar neuen Offenbarungen.
Wir stehen damit einfach vor der Aufgabe, das Kriterium
zu suchen und zu finden, nach welchem wir das Subjective
solcher Geistervorstellungen in uns von den wirklich ob-
*) Man lese hier „Die Gabe des Gedankenlesens" nach
Dr. Gregorys berühmtem Werke: „Animal Magnetism" etc. s. Sept.-
Hett 1877 ä. 388 ff.
Psychische Stadien. April 1882. 12
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1882/0185