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A. F. Tindall: Theosophie.
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seien vor unserer höheren Weisheit. Aber könnten sie
nicht doch in manchen Dingen vorzüglicher sein als wir,
während wir ihnen in anderen überlegen sind? Man sagt,
das« das Christenthum sie alle hinwegschweifen werde,
dass es die ganze Wahrheit enthalte und dass es keine
Wahrheit ausser ihm gebe. Es kann so sein, aber welche
Art von Christenthum? jNicht, wie ich glaube, die, welche
wir rings um uns in den confessionellen Kirchen sehen.
Es liegt zweifelsohne ein glorreiche Lebenskraft in ihm,
und ein grosser geistiger Hauch wehte über seinen ersten
Verkündigern, aber findet man die und den in den heutigen
Systemen? Sind sie nicht sein wahres Gregentheil? Sehr
wohl vermag ich zu begreifen, wie diese glorreiche Christus-
Gabe über die Erde dahinfegt; aber wenn sie dies thut,
werden da nicht die kirchlichen Systeme Europas ebenso
gut vor ihr in den Staub sinken, wie die abergläubischen
Religionen des Ostens? Und könnte nicht viel von ihr in
Ueberein Stimmung mit den Wahrheiten gefunden werden,
welche die Alten und die Heiden, die wir ignoriren, hegten?
In der That könnte es sogar der Fall sein, dass sie einen
gemeinsamen Ursprung hätten. Lernen wir deshalb von
den Vergangenen sowohl wie von den Gegenwärtigen, nicht
die psychischen Kräfte anzurufen um des blossen Wunderwirkens
, der Selbstvergrösserung oder des Bösen willen,
sondern um eine allgemeine geistige Religion zu erbauen,
in der Ost und West sich verbinden, alte und neue Wahrheiten
sich vereinigen können. Diese Religion wird den
Glauben an Gott, an das göttliche Ganze wieder herstellen,
unsero Begriffe von Ihm erweitern und alle Seiner Güte
und Liebe unwürdigen Vorstellungen beseitigen. Sie wird
die Unsterblichkeit als eine Thatsache erweisen, unsere
sozialen Verhältnisse bis auf den Grund prüfen und diejenigen
Uebel heilen, welche die Civilisation bloss beklagt,
aber nicht ändern kann. Sie wird unsere politischen
Systeme verändern. Sie wird beweisen, dass jeder Mensch
ein Recht hat auf Befriedigung der Bedürfnisse seiner Natur,
und dass das Gute für Alle das Ziel der Regierungen
sein muss; dass keine Klassen-Vorurtheile oder eingebildeten
Interessen dem allgemeinen Besten hinderlich im Wege
stehen bleiben dürfen. Dann wird man einsehen, dass das
Verbrechen eine Krankheit ist, dass es ebensogut moralische
und geistige Krankheiten und Epidemien giebt als körperliche
. Die Bestrafung wird der Besserung Platz machen,
und indem wir den wahnsinnigen Verbrecher daran verhindern
, weiteres Unglück anzurichten, werden wir in Zukunft
selbst keinen Mord mehr begehen, um einen andern
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