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Blumhardt: Natürlicher und beeinflusster Somnambulismus. 203
Folge der Krankheit einen kürzeren Fuss, eine hohe Seite,
Magenübel u. s. w. behielt.
Schon mit dem ersten Eintritt in obiges Logis, das sie
im September 1840 bezog, glaubte ff., wie sie später erzählte
, eine eigentümliche Einwirkung auf sich zu verspüren,
die ihr um so auffallender war, da es ihr vorkam, als sähe
und höre sie manches Unheimliche im Hause. Letzteres
entging auch ihren Geschwistern nicht. Gleich am ersten
Tage, als sie zu Tische beteten: „Komm, Herr Jesu!" u. s. w.
bekam sie einen Anfall, bei dem sie bewusstlos zu Boden
fiel. Was man hörte, war ein häufig wiederkehrendes, bisweilen
die ganze Nacht hindurch fortdauerndes Gepolter
und Geschlurfe in der Kammer, Stube und Küche, das die
armen Geschwister oft sehr ängstigte, auch die oberen Hausleute
beunruhigte, wiewohl Alle sich scheuten, irgend etwas
davon kund werden zu lassen. G. erfuhr noch besondere
Dinge an sich, dass ihr z. B. in der Nacht gewaltsam die
Hände übereinander gelegt wurden, dass sie Gestalten, Lichtlein
u. s. w. erblickte; ja aus ihren Erzählungen geht hervor,
dass die späteren Besitzungen schon in jener Zeit ihren
Anfang genommen hatten. Sie hatte von jener Zeit an
etwas Widerliches und Unerklärliches in ihrem Benehmen
und eine zurückstossende Art, die vielfältig missfiel; doch
liess es Jedermann so gehen, da nach der armen Waisen-
Familie weiter Niemand viel fragte, und G. mit ihren besonderen
Erfahrungen sehr verschwiegen war.
Erst im Herbst 1841 kam letztere, da ihre nächtlichen
Anfechtungen und Plagen einen immer höheren Grad erreichen
, zu mir ins Pfarrhaus, sprach aber nur in allgemeinen
Ausdrücken von ihren Anfechtungen, sodass ich
nicht recht ins Klare mit ihr kam, auch wenig Befriedigendes
sagen konnte. Indessen bekannte sie von freien Stücken
Einiges aus ihrem früheren Leben, indem sie hoffte, durch
dieses Bekenntniss von den erwähnten Anfechtungen frei
zu werden.
Im December jenes Jahres bis in den September 1842
hinein litt sie an der Gesichtsrose und lag sehr gefährlich
krank. In der ganzen Krankheit aber mochte ich sie nicht
viel besuchen, weil mich ihr Benehmen abstiess, indem sie,
wenn sie mich sah, beiseite blickte, meinen Gruss nicht er-
niger zu gewärtigen haben, und es wird Aufgabe der Physiologie und
Nervenpathologie, diese und ähnliche Erscheinungen endlich mit in
den Bereich ihrer wissenschaftlichen Beobachtung und Forschung zu
ziehen. Auch die Psychiatrie oder Seelenheilkunde dürfte ihre wichtigen
Folgeiungen daraus für viele sonst unerklärliche Fälle ziehen.
Die Red.
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