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218 Psychische Studiön. IX. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1882.)
theilweiser Erhebung und theil weiser Vertiefung, und nie
eine Fläche?
„Die Antwort lautet: weil wir in die Photographie der
Form der ,Nacht', welches Flächenbild uns zwingende
Anhaltspunkte für körperliche Auslegung bietet, am
leichtesten, ohne dass wir es wissen, diejenige
Vorstellung hineintragen, di« uns gemäss den gelieferten
Anhaltepunkten zunächst liegt, d. h. also diejenige eines
Reliefs, schwieriger diejenige, welche uns ferner liegt, d. h.
also die eines Sousreliefs. — Bietet uns eine planimetrische
(ebenflächige) Figur nur wenig Anhalt, sie plastisch zu
deuten, und beinflussen uns keine von den genannten Vorstellungen
, so erscheint sie uns als das, was sie ist, d. h.
als eine Fläche. —
„Anhaltepunkte für körperliche Auslegung werden aber
geboten: durch Perspective, Licht und Schatten, und
durch Kolorit, welche Hilfsmittel vor allem der Maler
im umfangreichsten und geschicktesten Maasse benutzt, um
seinen Schöpfungen den beabsichtigten Schein der Wirklichkeit
, d. h. die beabsichtigte Körperlichkeit zu verleihen.
„Da aber unser Ich Nichts im Geringsten davon weiss,
noch empfindet, dass es die Psyche selbst ist, die diese
Vorstellungen der Körperlichkeit auf die Zeichnung überträgt
, — wie eine scharfe, unbefangene Zergliederung
unserer Sinneswahrsehmungen lehrt, — das Ich hingegen
nur die sich vollziehende oder die bereits geschehene Gestaltung
wahr nimmt, so nennen wir diese Vorstellungen
unbewusste, im Gegensätze zu denjenigen (bewussten) Vorstellungen
, die das Ich (denkend) producirt. — Dass die
bewussten Vorstellungen auch mitgestaltend auf die Sehwahrnehmungen
einwirken können, lehrt der Versuch. Ihr
Einfluss ist jedoch dem der unbewussten gegenüber sehr untergeordneter
Natur, wovon man sich leicht überzeugen kann,
wenn man an perspektivischen Zeichnungen gewissenhaft
prüft, was sich, so zu sagen, von selbst und was sich mit
Zuhilfenahme unseres Willens körperlich gestaltet.
„Aus dem Eingriffe unbewusster Vorstellungen erklärt
es sich denn auch, warum selbst beim binokularen
(zweiäugigen) Sehen — resp. beim Stereoskopiren, wie vorher
erwähnt, etwas anderes (Körperliches) in Erscheinung
treten kann, als die (sich unbewussst vollziehende) parallaxische
Verschmelzung der Netzhautbilder verlangt. —
„Leicht beantwortet sich jetzt auch die Frage, wie wir
zu solchen unbewussten Vorstellungen gelangen, resp.
gelangt sind.
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