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Marie von L.: Die psychische Gabe des Vorausschauen». 227
Und nun ein Schauen in der Gegenwart. — Eines
Tages, während meiner Studienzeit im Institute, als die
Reihe des Vorlesens während des Handarbeitunterrichtes
an mir war, — ich las Fabiola von Cardinal Wiseman, welches
Werk meine ganze Seele fesselte, — sah ich vor mir die
Leiche meines 22jährigen Bruders, ruhend in einem Sarge
in einem Zimmer des elterlichen Hauses. Die Gewänder,
die Blumen, die Sargbeschläge etc., alles sah ich greifbar
deutlich. Die Nase des Bruders schien mir auffallend länger,
als das Erinnerungsbild des lebenden Bruders mir dieselbe
zeigte. Die Vorsteherin des Institutes, in welchem ich damals
schon fünf Jahre ununterbrochen weilte, sendete auf
meine Bitte ein Telegramm an meine Eltern, um sich nach
dem Befinden meines Bruders zu erkundigen. Die Antwort
meldete, dass er am selben Tage dem Typhus erlegen sei.
Das war an einem Donnerstage; Sonntags vorher hatte ich
von ihm einen recht heitern Brief erhalten.
Als einige Wochen später meine Mutter mich besuchte,
beschrieb ich ihr, was und wie ich geschaut hatte. Sie
staunte, wie ich alles bis ins Kleinste so richtig gesehen,
sogar die verlängerte Nase des Bruders. Sie sagte: „Das
„ist sonderbar; auch uns und den Aerzten schien die Nase
„des Franz, als er im Sarge ruhte, viel länger." —
Sie erwähnen in Ihrem werthen Journale gewisser
Spruchbüchlein,*) deren sich die Landleute im Riesen- und
Erzgebirge bedienen. Auch hier haben die deutschen Colo-
nisten derartige Spruchbüchlein, die aus dem 15. und 16.
Jahrhundert datiren. Wir fahnden schon lange auf solche,
ohne deren bis jetzt habhaft zu werden, da die Bauern
dieselben geheimgehalten, um nicht der Hexerei geziehen
zu werden: — wir geben aber die Hoffnung nicht auf. Sobald
uns eines zur Ansicht kommt, werden wir nicht ermangeln
, Ihnen des Nähern darüber zu berichten.
Mit Hülfe eines derartigen Spruchbüchleins heilt hier
ein gewisser Reimvnd Malzhof alle möglichen Krankheiten
bei Pferden. Wird er zu einem erkrankten Thiere gerufen,
„Ueber Statuvolence" des Dr. tahnestock (S. 212) möglich sind und
keineswegs die Bedeutung haben, uns in unserer weiteren freien Selbstbestimmung
zu verhindern oder von einer solchen zurückschrecken
zu lassen, dürften ähnliche Gemüthsverstörungen und Einschüchterungen
(in welchen allein die psyebisebe Gefahr liegt!) vollständig schwinden
und in gleiche Linie mit allen täglichen unerwarteten Trauer-Vorfällen
des Lebens rücken, über die wir uns ak Thatsachen doch ebenfalls
hinwegsetzen müssen, ohne darum gerade ins klösterliche oder ehelose
Leben zu flüchten. — Der Sekr. der Red.
*) Zauberbücher. Vgl. „Psych. Stud." Jan.»Heft 1882t S. 45. —
Die Red.
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