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Thornton: Der Spiritualismus auf dem engl. Kirchen-Congr. 1881. 245
den Körper als auf das wahre Wesen blicken, die Seele
aber als eine Art von Anhängsel an ihn betrachten; ein
Irrthum, gegen den schon Sokrates seine Schüler warnen
konnte („Phaedon", pp. 115, §. 64). Ohne Zweifel ist die
körperliche Existenz (dem Anschein nach) von einer grösseren
Realität für uns in diesem Leben als das geistige Wesen,
und so verstehen, wenn ich mir diese Anspielung erlauben
darf, neun Zehntel Menschen, wenn sie die Worte „reale
Gegenwart" hören, darunter ihre „körperliche" Gegenwart;
sie haben noch nicht die Wahrheit begriffen, dass nur für
das Geistige schon hinieden das Beiwort „real oder wirklich"
richtig angewendet werden kann. So geschulte Geister
werden leicht zu dem Glauben verleitet, dass die Seele nur
eine gewisse Phase des körperlichen Organismus sei und
mit seiner Auflösung ebenfalls verschwinde. Diejenigen,
welche mit Soktaies gelernt haben, dass die Seele — oder,
um eigentlicher zu sprechen, der Geist — das Wesen des
Menschen ist, können niemals annehmen, dass die Existenz
der Wirklichkeit abhänge von der Existenz ihres Instruments.
Wir hätten daher sorgfältiger lehren sollen, als wir es bisher
gethan haben, nicht, dass die Menschen Körper sind
und Seelen haben, sondern dass sie Seelen sind und Körper
haben, welche von der Herrlichkeit des Irdischen zur
Herrlichkeit des Himmlischen verwandelten Körper erst die
ihren sein werden, um Gottes Werk im Jenssits zu verrichten
.
2. Desgleichen sind wir schrecklich furchtsam, auch nur
ein Wort über den Zwischenzustand zu sagen. Wir ziehen
eine starke und feste Linie zwischen der sichtbaren und
der unsichtbaren Welt. Vergebens drückt das Glaubensbe-
kenntniss unseren Glauben an die Gemeinschaft der Heiligen
aus; denn wenn wir darauf hinweisen, dass Derjenige, welcher
für seine Geliebten auf Erden betete, sie auch nicht vergessen
mag, wenn er, nachdem seine irdische Körperform
aufgelöst ist, der Gegenwart seines Herrn näher gerückt
ist, so verwechselt die populäre Religion solche Vermittelung
mit den Einbildungen der Vermittelung und Anrufung von
Heiligen. Wiederum wird hier das körperliche Leben, und
nicht das des Geistes, zum wahren Leben erhoben.
3. Ferner herrscht ein weit verbreitetes Widerstreben,
sogar in der Kirche, das Ueber-Menschliche als solches anzunehmen
. Ich sage nicht, dass dieses universal sei, weit
entfernt davon, sondern es ist nur recht allgemein. Es giebt
Manche z. B., welche vor aller geistigen Auslegung der
Schrift zurückschrecken. Die vier Ströme des Paradieses
(um ein rabbinisches Beispiel zu benutzen) haben keine B$-
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