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252 Psychische Studien. IX. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1882.)
ihren Namen laut in's Ohr und sagte: „Lege die Hände
zusammen und bete: ?Herr Jesu, hilf mir!' Wir haben
lange genug gesehen, was der Teufel thut, nun wollen wir
auch sehen, was Jesus vermag." Nach wenigen Augenblicken
erwachte sie, sprach die betenden Worte nach, und alle
Krämpfe hörten auf, zum grossen Erstaunen der Anwesenden.
Dies war der entscheidende Zeitpunkt, der mich mit unwiderstehlicher
Gewalt in die Thätigkeit für die Sache hinein
warf.*) Ich hatte vorher auch nicht den geringsten Gedanken
daran gehabt, und auch jetzt leitete mich ein unmittelbarer
Drang, von dem ich den Eindruck noch so stark habe, dass
er eben erst später oft meine einzige Beruhigung war, weil
er mich überzeugte, dass ich nicht aus eigener Wahl und
Vermessenheit eine Sache unternommen hatte, deren schauerliche
Entwickelung ich mir damals unmöglich hätte vergegenwärtigen
können. Nachdem sie wieder bei sich war,
sprach ich ihr Muth zu und betete noch etliche Worte,
wenn die Krämpfe wiederkehrten.
Nachts 40 Uhr desselben Tages kam eiligst ein Bote
und sagte, sie habe einen ruhigen Abend gehabt, bis eben
jezt, da die Krämpfe stärker als je sie befallen hätten. Als
ich zu ihr kam, schien die Wärterin in Ohnmacht fallen zu
wollen, da der Anblick über die Maassen schauerlich war.
Ich versuchte alsbald obiges Verfahren, und der Erfolg war
in wenig Augenblicken derselbe. Während ich indessen
verzog, fiel sie plötzlich wieder rückwärts aufs Bett. Sogleich
Hess ich sie die Worte ausrufen: „Herr Jesu, hilf mir!" obwohl
sie dieselben kaum herausbrachte, und so kam sie wieder zu
sich, ohne dass die Krämpfe ausbrachen.**) Allein mit jedem
Augenblick wollte sieh's wiederholen, und so dauerte es 3
Stunden fort, bis sie ausrief: „Jetzt ist mir's wohl!" Sie hatte
nun die übrige Nacht und den ganzen folgenden Tag Ruhe,
bis wieder gegen 9 Uhr Abends die Anfälle sich wiederholten
. Ich verweilte abermals, diessmal, wie später fast
immer, mit dem Schultheissen und Mose Wanger etliche
Stunden bei ihr, wobei bereits sich zu erkennen gab, dass
sich etwas Feindseliges aus ihr gegen mich richtete. Sie
*) Diese Stelle ist es, welche uns zur Wahl des redactionellen Titels
dieser Berichterstattung veranlasst hat. Der Verfasser hat sie nur
„Krankheits-Geschichte" etc. betitelt — Die Red.
**) Diese und ähnliche Nerven-Zustände und Einwirkungon dürften
jedem Forscher aufs Beste verständlich und erklärlich weiden durch
das Studium des Haupt-Werkes von Dr. med. Wm. Baker Fahne-
stock: — „Statuvolism: or, Artifical Somnambulism etc."
(Chicago, 1871), VergL dessen neuesten Artikel „Ueber Statuvolence
etc." im Mai-Heft 1882 der „Psych. Stud." S. 212 ff. —
' Die Red.
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