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III. Abtheilung.
Tagesneuigkeiten, Notizen u. dergl.
Die Aufgaben der experimentellen Psychologie.
Von Willielm IVmidi, Professor an der Universität Leipzig —
ist ein Essay in „Unserer Zeit" 3. Heft 1882 (Leipzig,
Brockhaus^) betitelt, in welchem wir vergeblich nach psychologischen
Experimenten über die wenig gekannten Phänomene
des Seelenlebens geforscht, im übrigen aber manche
beherzigenswerthen Lehren gefunden haben, die der Herr
Verfasser nur selbst noch nicht praktisch auszuüben scheint.
Er geht aus von Albert Lange's trefflicher „Geschichte des
Materialismus", der die heutigen Aufgaben psychologischer
Forschung kurz und bündig als eine „Psychologie ohne
Seele" bezeichnet habe. Er selbst vertritt diese Richtung
und setzt nur dafür den Namen „experimentelle Psychologie
" ein, nur dass vielleicht dasselbe Spiel hier sich wiederholt
und die Sache sich als eine rein logisch entwickelte
„experimentelle Psychologie ohne Experimente44 darstellt.
Die philosophische Glaubensregel unter den heutigen
Gebildeten bezeichnet er alsCartesianismus, der früher
als keine so selbstverständliche Wahrheit galt wie jetzt.
„Dass die Substanzen dieser Welt in Geister und Körper
zerfallen, dass die Geister unräumlich sind und die Körper
ausgedehnt, dass die Geister den Gesetzen des Denkens
folgen und die Körper den Gesetzen der Mechanik, dass
die Geister frei sind und die Körper einer blinden Causa-
salität gehorchen, und dass gleichwohl diese verschiedenen
Wesen sich gelegentlich mit einander verbinden und auf
einander wirken können — wen giebt es unter den Nicht-
philosophen, der nicht diese an und für sich merkwürdigen,
aber durch lange Gewohnheit uns vollkommen begreiflich
gewordenen Sätze bereitwillig unterschriebe?44 — so fragt
er, um hinterdrein festzustellen, dass zu Cartesiui Zeiten
jene Dinge keineswegs wie heute selbstverständliche Wahrheiten
waren und das Dogma von der unausgedehnten-
aber in irgend einem Punkt an den Körper gehefteten
Seele einen ebenso lebhaften Widerspruch wie die mechas
nische Auffassung der Natur erfuhr. „Das ist ja da-
Schicksal solcher Lehren, die eine folgenreiche historischs
Bedeutung zu erringen vermögen: zuerst gelten sie ale
heterodox und gefährlich, und zuletzt werden sie zu Glaubens,
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