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Kant u. Schopenhauer über die wahre Erkenntnis» des Welträthsels. 359
Dinges an sich*), und Piaton das Werdende, nie Seiende, im
Gegensatz des Seienden, das nie Werdende nennt, oder endlich
was bei den Indern das Gewebe der Maja heisst: es ist
eben die dem Satze vom Grunde anheim gegebene Erkenntniss,
mit dem man nie zum inneren Wesen der Dinge gelangt,
sondern nur Erscheinungen bis ins Unendliche verfolgt . . .
Die acht philosophische Betrachtungsweise der Welt, d. h.
diejenige, welche uns ihr inneres Wesen erkennen lehrt und
so über die Erscheinung hinausführt, ist gerade die, welche
nicht nach dem Woher und Wohin und Warum, sondern
immer und überall nur nach dem Was der Welt fragt, d. h.
welche die Dinge nicht nach irgend einer Relation, nicht
als werdend und vergehend betrachtet, sondern umgekehrt,
das in allen Relationen erscheinende, selbst aber ihnen nicht
unterworfene, immer sich gleiche Wesen der Welt, die Ideen
derselben zum Gegenstande hat." (Welt als Wille etc.
IV. Aufl. I, 322.) —
Ueberall scholastische und dogmatische Vorstellungen,
trotz der fortwährenden Berufung auf Kant das hoffnungslose
Unterfangen, das Wesen der Dinge zu erkennen,
während wir nur ihre Erscheinungen zu begreifen vermögen.
Daher auch die Hinneigung Schopenhauers zum Mysticismus,
weil er selbstredend dem Innern der Natur nicht auf dem
gewöhnlichen Wege wissenschaftlicher Forschung nahen
konnte, sondern nur vermöge irgend welcher instinctiven
Intuition, ähnlich der berüchtigten intellectuellen Anschauung
des snbjectiven Idealismus. Hartnäckiges Verweilen in
leeren ontologischen Voruntersuchungen, die noch ausserdem
höchst einseitig gefasst sind; deshalb der Wahn, dass die
Gestaltung des Seienden, falls überhaupt möglich, jedenfalls
gänzlich werthlos sei, da sie die Unveränderlichkeit und
Erhabenheit der Idee, also des reinen Seins, beeinträchtige.
Mit andern Worten liegt hier eine völlige Verkehrung des
Kant sehen Standpunktes vor; anstatt aus den verschiedenartigen
Formen, welche das Wirkliche im Verlauf seiner
Entwickelung annimmt, eine Geschichte seines Wesens zu
construiren, wird ächt scholastisch das Wesen als solches
jeglicher Eigenschaft schlechthin entgegengestellt, geschieden
in einen unversöhnlichen Gegensatz, wie Substanz und
Attribut, als wenn man überhaupt etwas von jener wüsste
ohne dieses!
Anstatt das Seiende in dem Geschehenden, in den
verschiedenen Modifikationen seiner Natur zu erfassen, wird
*) Die eigentliche Ansieht Kants lehrt der vorhergehende Artikel:
„KanVs wahre Lehre von Zeit und Baum und dem Ding an sich"
Seite 314 dieses Heftes. — Die Red,
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