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362 Psychische Studien. IX. Jahrg. 8. Heft. (August 1882.)
endetem Empfindungsvermögen und vollkommenem Urtheile
ausgestattetes, also höchst organisirtes Wesen. Ein solches
Wesen überwindet den Raum, denn es i s t ü b e r a 1J,
weil es Alles empfindet; es überwindet die Zeit,
weil es die Ursachen der Ursachen und in den
Ursachen schon die Wirkungen sieht; der ganze
Muss des Werdens ist für ein solches Wesen ein Flächenbild
!
Sowie der Arzt Bacterien in oder auf dem menschlichen
Organismus entdeckt, sei es auf directe oder indirecte
Weise, so hat er schon ein Bild der zukünftigen Entwicklung
vor sich; ein ganz ansehnlicher Theil der Prophezeiungen
wird sich auf diese Weise erklären lassen. Das
Individuum von geringer phänomenaler Befangenheit steht
unserem normalen Erkenntnissvermögen gegenüber, wie der
praktische Arzt gegenüber dem Laien. Die Auffassung
der auf einander folgenden Ereignisse ist also eine denkbar
sehr verschiedene, und die reelle Existenz solcher verschiedener
Anschauungsformen durch die Thatsache der
Wahrträume geradezu erwiesen. Sowie man einen Fächer
in mehrere Blätter auseinanderzieht, so zieht der Mensch
die empfundenen Einwirkungen durch seine Organe in
Raum und Zeit auseinander, und es steht in seinem Be-
wusstsein die Projection einer Welt, die nur für ihn Geltung
hat; auf diese Weise, unter der Lupe unseres Zeitmaasses,
begreift sich die Periodicität.
Ich will dem Leser sogar einen Weg zeigen, auf welchem
man, — so unglaublich es auch scheint, — das Verhältniss
unseres phänomenalen Zeitmaasses zum transscendentalen
Zeitmaasse annähernd finden kann und durch dessen Anwendung
sich sehr interessante Gesichtspunkte ergeben. Ich
benütze dazu das überphänomenale Schauen ganz gieich-
giltiger Ereignisse und insbesonders dreier Wahrträume;
den einen hatte ich selbst, der andere wurde mir vor Kurzem
von einer ärztlichen Celehrität, dem die leidende Menschheit
eine herrliche Entdeckung zu verdanken hat, mitgetheilt,
und der dritte wird von Schopenhauer persönlich garantirt.
Ich glaube daher, dass der Leser mit einiger Beruhigung
auf die Unterlage blicken darf, und dass ich nicht noth-
wendig habe, aus den zahlreichen Berichten noch andere
Beispiele hervorzuholen. Ich kann selbst annehmen, dass
die meisten meiner Leser in dem Kreise ihrer Bekannten
Aehnliches gehört haben werden.
Die Gilde, welche sich „Männer der Wissenschaft"
nennt, sträubt sich in der Regel gegen die Realität eines
Wahrtraumes, und muss diese sogar leugnen, weil ein ein-
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