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L. v* Hellenbach: Das phänomenale u. d. transscendentale Zeitmaass, 363
zig er Wahrtraum das ganze moderne naturphilosophische
Gebäude über den Haufen wirft. Denn hat die Seele
oder der menschliche Organismus eine von den Sinnen unabhängige
und sogar höhere Wahrnehmungsfähigkeit nur
in einem Falle bewiesen, so bekommt nicht nur die
Omnipotenz der Anpassung und Vererbung ein Loch,
sondern es fallen die Schranken, welche man der menschlichen
Existenz von obiger Seite so gern setzt. Das Leben
muss sich dann nicht, und kann sich gar nicht auf die
Episode zwischen Mutterleib und Todtenbett beschränken;
eine von unseren bekannten Organen ganz unabhängige
Existenz stünde dadurch ausser Zweifel (auf was schon
Kant hinwies), und damit ist der ganze moderne naturphilosophische
Grallimathias biossgestellt und der Nimbus
dieser Gilde verloren.
Sowie es Philosophen gegeben, welche naturwissenschaftliche
Wahrheiten ausgesprochen, wie z. B. Kant und
Schopenhauer, so hat es allerdings auch Naturforscher gegeben
, welche sehr tiefe philosophische Wahrheiten ausgesprochen
, wie z. B. Kepler und Newton; doch das sind die
Spitzen, die glänzenden Ausnahmen, während die der
minorum gentium zum Wohle der Menschheit durch ihr
Fach absorbirt, in der Regel aber von einer merkwürdigen
Unwissenheit im Allgemeinen sind. Im Alterthume, wo es
keine Kaste der Professoren und Doctoren, keine naturwissenschaftlichen
Vereinsmeier gab, hatte Niemand die
Realität der Wahrträume bezweifelt. Hypokrates und Galenos
haben ein vorsehendes Wahrnehmungsvermögen im Traume
und in Krankheiten nicht nur als erfahrungsmässig gegeben
anerkannt, sondern ganz gut auf Rechnung des Freiwerdens
der Fähigkeiten der Seele gesetzt. Cicero führt in seinem
Werke ,,De divinatione et de natura deorum" die Ansichten
von Posidonius, Cratippus und Chrysippus an, welche mit
jenen des Pythagoras, Demokrit und Heraklit ganz übereinstimmen
, und die insgesammt das Wahrsagen der
Träume anerkennen. Xenophon sagt: „Nichts gleicht dem
Tode mehr als der Schlaf, aber im Schlafe verräth die
menschliche Seele am meisten ihre göttliche Natur; sie
sieht das Zukünftige, indem sie sich von den Banden des
Körpers am meisten losmacht/'
Dass man dann im Alterthum einen Schritt zu weit
ging und der Symbolik der Träume eine zu grosse
Bedeutung gab, ist allerdings wahr; aber diese Verirrung
wäre nicht möglich gewesen, wenn die Thatsächlichkeit der
Wahrträume, die von den symbolischen wohl zu unter-
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