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L. v. Hellenbach: Das phänomenale u. d. transscendentaleZeitmaass. 367
überhaupt; es muss eine solche geben, welche Veränderungen
überblickt, die für uns einen Zeitraum von Stunden in
Anspruch nehmen.
Doch möge der Leser wohl den Unterschied zwischen
dem Schauen einer fernen Gegend und dem
Schauen von Ereignissen festhalten; denn das
erstere bezieht sich auf den Raum, die Fernwirkung, das
letztere auf die Z e i t, die Veränderung.
Es gibt Menschen, welche unmittelbar vor einer Reise
in der Nacht Gregenden schauen, die sie den anderen Tag
finden; in diesem Schauen liegt gar nichts, was als Veränderung
, als Handlung gefasst werden könnte, wenn mau
vom Subject absieht, welches die Reise macht» Die Gegend
ist dieselbe früher und später. Wohl aber treten Veränderungen
beim Aufwaschen eines Tintenfleckes, bei der
erst zu erfolgenden Vergiftung ein. Hier stehen wir vor
objectiven Veränderungen.
Es muss auph zwischen den Vorahnungen grosser Ereignisse
oder Katastrophen und dem Schauen gleicbgiltiger
Dinge unterschieden werden; denn die ersteren leimen sich
auf die später zu besprechende Absichtlichkeit unseres Daseins
, und nur die letzteren sind die Frucht der höheren
Anschauungsform in Bezug auf die Zeitdauer.
Das obige Maass des Verhältnisses kann immerhin als
ein so ziemlich stimmendes Durchschnittsmaass genommen
werden; demzufolge i3t unser Leben für ein transscenden-
tales Auge nur ein Tag. Nunmehr wird es deutlich, dass
ein solches Erkenntnissvermögen sehr vielen Menschen ihr
Tagewerk voraussagen könnte. Können wir nicht selbst
in diesem Leben bei sehr Vielen voraussagen, wie der Tag
vollendet werden wird? Um wie viel mehr muss
dies dann der Fall sein, wenn wir die Absichten
eines Menschen kennen oder durchschauen, die er für einen
bestimmten Tag hat? Ist also eine Prophezeiung noch
etwas anderes, als das Product einer höheren Anschauurigs-
form?
Ich selbst antworte: Ja! Eine üb er den Wahrtraum
gleichgiltiger Dinge hinausgehende Prophezeiung
ist das Product aus 2wei Factoren; diese sind
1. das eben erwähnte höhere Anschauungsvermögen, und
2. die Absichtlichkeit unseres Daseins! Daher
kommt es auch, dass die Geschichte zumeist von Menschen
höherer Bedeutung berichtet, dass sie Gegenstand von Prophezeiungen
waren! Wir werden später in dem Oapitel
über die Absichtlichkeit unseres Daseins die Motive unter-
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