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Psychische Studien. IX. Jahrg. 8. Heft. (August 1882.) 375
Ein Tramngesicht und eine ihm entsprechende Erscheinung im
wachen Zustande/)
Vor einigen Jahren lernte ich einen Freund meines
verstorbenen Mannes, Major B.y kennen. Ich hatte Gelegenheit
, mit ihm öfter zusammen zu kommen, und lernte
in ihm eine höchst ehrenwerthe Persönlichkeit kennen, die
ich um so mehr achten lernte, als er mit meinem Mann
in vielen Beziehungen gestanden und mit ihm freundschaftlich
verkehrt hatte. Er hatte ein einziges Kind, einen
sehr hoffnungsvollen, sehr achtbaren Sohn, den Referendar
R. B. Auch diesen sah ich oft und freute mich über das
schöne Verhältniss, in dem er zu seinem Vater stand.
Der Vater liebte diesen Sohn über Alles und fand in ihm
seine schönsten Hoffnungen. Das Schicksal verfügte aber
Mörder im Wahnsinn nicht immerfort einen und denselben Mord
mechanisch wiederholen, sondern Variationen anbringen würde. Dass
mehrere Personen dergleichen durch sog. sympathetische Ansteckung
gleichzeitig sehen können, ist eine längst erhärtete Thatsache. Man
lese nach, was Herr C, E. Noessler im April-Heft der „Psych-Stud."
in dieser Hinsicht vom sog. „Horchengehen" im sächsischen Voigtlande
erzählt. Da unser eigenes Seelenleben aber nicht blos Bilder
der Vergangenheit, sondern auch solche der Gegenwart und selbst
der Zukunft auffängt, — auf der Spitze eines Berges überschauen
wir stillstehend z. B. gleichzeitig den ganzen Rundlauf eines Reiters
um den Fuss des Berges, während wir am Fusse des Berges stillstehend
nur den augenblicklich am Orte, wo wir uns befinden, an uns
Vor übereilenden wahrzunehmen vermögen! — so müssen wir wahrhafte
Geister des Jenseits nicht blos nach ihren vergangenen,
sondern auch nach ihren derzeitigen und zukünftigen Thaten
im Jenseits ins Auge fassen lernen. Der wirkliche Geist jenes Göns-
darm dürfte schwerlich noch im Zimmer anders umgegangen sein, als
durch die hinterlassenen persönlichen Eindrücke und Spiegelbilder
seiner Seelenerregung vor und bei dem Morde ita allen Mobilien und
Wänden des Zimmers. Er selbst weilte sicher nicht länger mehr
persönlich geistig dort, sondern war längst seiner neuen Bestimmung
entgegengeführt, ähnlich wie eine Gewitterwolke, die sich an einem
Orte entladen bat, unaufhaltsam weiter zieht. Die hinterlassene Verwüstung
und ihre Sehrecken empfindet man noch lange unter längst
wieder blauendem Himmel nach. — Wir wiederholen sonach, dass
wir durchaus die Existenz von Geistern im Jenseits nicht leugnen,
vielmehr sogar felsenfest an sie glauben, aber stets bei dergleichen
psychischen Erregungen eiaes hellbesinnten Wahrnehmens ungewöhnlicher
vergangener Vorgänge vor dem allzu leichtfertigen Schlüsse
warnen, als hätten wir es dabei stets und immer nur mit den leibhaftig
anwesenden Geistern des Jenseits selbst zu thun. Sie sind und
bleiben für unsere irdischen Sinne ihrer geistigen Leibhaftigkeit nach
sicher in ihrem Jenseits! — Der Sekretair der Redaction.
*) Dieser Artikel ist uns von Herrn Maler Boguet in Potsdam,
als von einer vornehmen Dame verfasst, speziell für die „Psychischen
Studien" übermittelt worden, wofür wir durch Abdruck unseren ergebensten
Dank abstatten zu können hoffen. — Die Redaction.
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