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Ein Traumgesioht und eine Erscheinung im wachen Zustande. 379
seinem Geburtstage gewünscht und bestellt hatte, auf
seinem Grabe gesehen und gefunden habe, die ich dort
für ihn niedergelegt? Darauf sagte er mir, dass er sich
gefreut, aber auch gewusst habe, dass ich mein Versprechen
halten würde.
Er stand noch immer dicht an meiner Seite, doch so,
dass ich sein Gesicht sehen konnte. Ich fror entsetzlich
und konnte mich nicht bewegen, und trotz Allem legte ich
ihm nun noch die Frage vor, ob er seine Mutter gefunden
habe, und da antwortete er mir: „Nein, nein, da muss ich
noch viele Aufgaben lösen, ehe ich dahin komme. Im
Moment des Scheidens von dieser Erde, da zeigte sie sich
mir, um mir den Abschied von meinem geliebten Vater
nicht schwer zu machen. Sagen Sie ihm, dass ich zufrieden
an seiner Seite war, mich aber nicht zurücksehne, weil ich
v jetzt erst das wahre Glück gefunden habe. Seien Sie oft
mit ihm zusammen, sprechen Sie von mir, das wird ihm
wohlthun. Sie zerstreuen ihn, Sie erheitern ihn. Jetzt
geht es ihm nicht gut, Sie werden ihn lange Zeit nicht
sehen*" —
Plötzlich fühlte ich den Druck seiner Hand nachlassen,
er ging zurück; leichter Nebel umgab ihn, derselbe wurde
dichter; ich wollte so gern mit ihm gehen, doch er war
fort, und wie aus weiter Ferne hörte ich noch einmal seine
Stimme: „Ich komme bald wieder, aber umgeben von grauem
Nebel, — sehen Sie mich in Weiss, dann hole ich Sie uud
kehren Sie zur Erde nicht zurück!"
Das war kein Traum, es war eine wirkliche Erscheinung;
denn ich stand in meinem Zimmer, erstarrt vor Kälte. Es
war ein Uhr, und ging ich nicht wieder zu Bett, sondern
zog mich an; denn vor Aufregung hätte ich doch nicht
schlafen können. — Am nächsten Morgen sagte mein Papa
zu mir: „Was hast Du? Du siehst ja entsetzlich elend
aus?" Mein Gesicht war ganz weiss, und fühlte ich mich
sechs Tage so angegriffen, dass ich nicht ausgehen konnte.
Jetzt fühle ich mich wieder ganz wohl, und wird die Erinnerung
an die Erscheinung, an ihn, stets in meinem
Herzen bleiben.
Ich kann hierbei noch ausdrücklich versichern, dass
ich bei der Erscheinung meinen vollen Verstand hatte
und im vollen Besitz meiner ungetrübten Sinne war, und
dass von einer Hallucination und von einem Product einer
aufgeregten Phantasie nicht die Rede sein kann. —
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