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Ein Somnambuler. 381
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von der Illusion eines Gespräches mit einem wohlhabenden
Freunde aus, welches in tiefster Einsamkeit gehalten wird.
Ein meist biblischer Text liegt denselben regelmässig zu
Grunde, und bestimmt und beherrscht den Gedankengang
der Rede.
Dabei berücksichtigt der Somnambule in merkwürdiger
Weise die Tageszeit und sonstige Zeitumstände, nie aber
die örtliche Umgebung und nie die anwesenden Personen.
Am Sonnabend, den 24. Juni, abends 11 Uhr, predigte er
über die Texte: „Glaube an den Herrn Jesum Christum,
so wirst du und dein Haus selig", und „Liebe Gott von
ganzem Herzen, aus allen Kräften, von ganzem Gemüth
und deinen Nächsten als dich selbst." „Glaube und Liebe"
war daher das immer wiederkehrende Wort, welches in der
mannigfaltigsten und packendsten Weise den imaginären
und den wirklichen Zuhörern ans Herz gelegt wurde. Am
Sonntag, den 25., früh 3 Uhr begann er einen wirklich
poetischen Morgenhymnus mit den Worten: „Gegrüsset
seist du, schöner Morgen!" Die Predigten, obwohl durchaus
zusammenhängend und in logischer Folgerung, entbehren
der üblichen, organischen Gliederung in Thema
und Theile, sind aber mit einer solchen Menge von Schriftworten
und Liederversen erfüllt, dass allein schon die dazu
gehörige Schriftgelehisamkeit zu bewundern wäre.
Nachdem die Ekstase, in die sich der Schlafende
meist spricht, vorüber, tritt eine tiefe Stille ein. Der Einsender
überzeugte sich anhaltend durch Vorhalten des angefeuchteten
Handrückens vor die Nase des Schlafenden
(der Mund ist dann fest geschlossen) von dem 10 bis
15 Minuten langen gänzlichen Fehlen des Athems. Die
Glieder des Schlafenden lassen sich nur mit Anwendung
grosser Gewalt biegen, und der Mann empfindet, wenn dies
geschehen ist, nach dem Erwachen grosse Schmerzen. Von
nah und fern strömen seihst unter den ungünstigsten Verhältnissen
neugierige und andächtige Zuhörer aus alleix
Gesellschaften zu den Predigten herbei, so dass die Stube
des Ortsschulzen von Kaliska (wo sich Schüler zu der eben
angegebenen Zeit aufhielt) zu klein wurde und die Leute
bis auf die Strasse standen. Einzelne waren meilenweit
herzugekommen.
Vor einigen Jahren ist der August Schüler, wie es heisst,
aus Missgunst ins Irrenhaus gebracht worden, aus welchem
er aber, weil man nicht die geringste Geistesstörung an
ihm fand, nach wenigen Wochen wieder entlassen wurde.
Leider hatte er in der Zwischenzeit, wo seine Familie ihres
Ernährers beraubt war, den Best seiner Habe verloren.
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