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Blumhardt: Natürlicher und beeinflusster Somnambulismus. 403
alte Choräle und Melodien aus vielen alten Schriften aufsuchte
und zusammentrug. Um neues Interesse für den
Choral zu wecken, liess ich auch eine Sammlung in den
Druck kommen, nachdem ich zu diesem Zwecke in die
Theorie des musikalischen Satzes mich erst hatte einüben
müssen.
Dann hielt ich vorigen Sommer als Schul-Conferenz-
Direktor einen doppelten Lehrcursus, theils über die Behandlung
der deutschen Sprachlehre in den Volksschulen,
theils über das Leben des Apostels Paulus, und liess fortlaufende
Aufsätze darüber unter den Lehrern cursiren.
Dies Alles wage ich hier anzuführen und bin versichert,
dass man es mir nicht übel auslegen wird, nur um zu beweisen
, dass ich gerade damals keine übrige Zeit hatte,
auch nicht suchte, übertriebenen Phantasien nachzuhängen,
und wer die erwähnten Arbeiten nur flüchtig übersieht,
wird mich schwerlich einer krankhaften Einbildungskraft
zeihen können. Es waren stets unmittelbare und lange unverstandene
Eindrücke, die ich unter meiner Geschichte erhielt
und bis auf Weiteres unvorbereitet liegen liess, doch
im Geiste sammelte, bis sie endlich sich selbst zu einem
schauerlichen Zusammenhange fügten. Erst mit dem Schiuss
der Geschichte wurde ich mir über das Ganze und Einzelne
klar. Zu diesem Schlüsse eile ich jetzt, der mich jedoch,
um verstanden zu werden, abermals zu einem allgemeinen
Ueberblick leitet.
Wie es denn komme, dass gerade bei der einer seit
manchen Jahren entschieden und gediegen christlich denkenden
Person, in solcher Masse schauderhafte, satanische Anfechtungen
vorkommen konnten, das ist Vielen, die von der
Sache hören, ein Räthsel. Mit der Absicht, dieses scheinbare
Räthsel einigermaassen zu lösen, theile ich Nachstehendes
aus der früheren Geschichte der G. mit, wie ich sie aus
ihrem Munde allmälig und zusammenhängend, ich möchte
sagen zufällig, erfuhr, aber erst gegen den Schiuss hin be-
obachtungswerth und bedeutungsvoll finden konnte, obgleich ,
es abermals in unerhörte Dinge hineinführt. Man sehe mir
deshalb den direkten als bequemern Erzählungsstyl nach.
G. weiss schon aus ihrer Kindheit Umstände zu erzählen,
die auf Nachstellung hindeuten, und es ist schwer, sogleich
aufs Neue etwas berühren zu müssen, das in der Regel zu
dem märchenhaftesten Aberglauben gerechnet wird, und das
ich doch jetzt Ursache habe, nicht mehr so ganz wegwerfen
zu dürfen. Sie stand gleich nach ihrer Geburt in Gefahr,
unsichtbar weggetragen zu werden. Ihre Mutter, die vor
10 Jahren gestorben ist, erzählte ihr oft, sie habe das Kind
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