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414 Psychische Studien. IX, Jahrg. 9. Heft. (September 1882.)
Was mich veranlasst hat, in diesem Falle gerade eine
solche Erklärung zu gehen, weiss ich selbst nicht. Ich
stellte mir aber beim Nachhausegehen allerhand Fragen
bezüglich der Natur unserer Gedanken und kam
schliesslich auf die Idee, dass der Mensch die Vorstellung
(Verkörperung, Materialisirung eines Gedankens) nicht
anders geben kann, als durch eine bildliche Sprache und
durch Worte, wodurch, bezüglich eines Vergleiches mit
anderen Gedanken, die beabsichtigte Vorstellung beim Zuhörer
erzeugt wird.
Wenn man den Ausspruch thut: „Geist ist Materie",*) so
ist eine solche materielle Vorstellung nicht in irdiscnem
Sinne zu nehmen. Für die geistig geartete Begriffsvorstellung
ist aber eine geistige Materie immerhin vorstellbar.
Wenn man bedenkt, dass in der Wissenschaft ein Atom
nicht darstellbar ist, zwei Atome aber ein Molekül ausmachen
und der ganze menschliche Organismus in allen
seinen einzelnen Theilen aus solchen Molekülen besteht,
dann sollte man glauben, dass auch ein grob-materielles
Begriffsvermögen einen solchen Gedanken begreifen könnte.
Das Denken war und ist immerfort für den Menschen
die unerschöpfliche Quelle für menschliches Wissen. Diese
Quelle menschlichen Wissens entspringt nach A. J. Davis
entweder
1) aus einer unmittelbaren Wahrnehmung (Intuition) und
2) aus Ueberlegung (Eeflexion); oder
3) aus der für das individuelle Gehirn möglichen Auffassung
(Perception) und
4) aus den Beweisen vorliegender Thatsachen (Testimonium
).
Die beiden ersten sind angeborene Fähigkeiten und
stehen mit dem individuellen Charakter in enger Verbindung
. Die beiden letzten sind durch Kultur und Erziehung
erworbene Fähigkeiten. Wer aber nur allein seinen aus
der Intuition und Reflexion geschöpften Schlussfolgerungen
vertraut, wird ebenso fehl gehen, als Jener, der nur durch
*) Dieser Satz ist noch durch kein menschliches Experimentiren
Wissen und Philosophiren als im tiefsten Grunde gültig erwiesen.
Auoh Davis und Noire scheinen uns zu irren, wenn sie den Geist der
Materie nicht dualistisch sich gegenüber, sondern monistisch beide
gleich setzen, so dass nach ihnen die Materie aus dem Geiste und der
Geist aus der Materie hervorgehen können. Beide müssen unseres
Erachtens vielmehr aus einem höheren Dritten hervorgehen und für
Dessen gewollten Zweck gesetzt sein. (Vgl. unseren folgenden Artikel
; „Die Correspondenz und die Differenz von Bewegung und Empfindung
, oder Monismus und Dualismus.**) —
Der Sekr. d. Red.
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