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442 Psychische Studien. IX. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1882.)
den schlagenden Beweis zu liefern, dessen die Wissenschaft
bedarf. Sie erheischen eine längere und mühsame
Prüfung, ehe es möglich sein dürfte, sich ein richtiges
Urtheil von ihnen zu bilden. Da mein Zweck bei dieser
Untersuchung ein rein wissenschaftlicher ist, so habe
ich letztere absichtlich nur auf die Erscheinungen
beschränkt, welche eines schlagenden Beweises
fähig sind: auf dass sie von dem Beweis der Sinne
unterstützt, durch die Anwendung von Gewichten und
Maassen geprüft, durch einen Mechanismus, welcher
keine Selbsttäuschungen zulässt, ausgeführt werden und auf
keine Weise von blos geistigen Eindrücken abhängen, welche
immer mehr oder weniger dem Irrthum unterworfen sind.
Ich verlange solche Beweise, welche ich auch der Jury
eines Gerichtshofes vorlegen könnte, und nehme nur einen
aus ihnen gebildeten Richterspruch an. Nichts weniger
als dieses würde mich allein befriedigen. Es giebt aber
keine derartigen Beweise der in Rede stehenden Erscheinungen
. Nur die physikalischen Phänomene der
Bewegung und des Schalls sind positiver Beweise oder
Gegenbeweise fähig. Sie würden sogar Beweise für eine
Jury über jede beliebige Frage sein, selbst wenn das Leben
von ihnen abhinge. Deshalb beschränke ich die Untersuchung
darauf, was eines positiven Beweises fähig
ist, und nehme nur solchen Beweis auf, der auch im Zeugen-
verhörzimmer zulässig sein würde und über den ein richterliches
Urtheil gefällt werden könnte. Der zur Begründung
der Existenz der sogenannten „höheren Phänomene" erforderliche
Beweis scheint im Vergleich mit dem Beweise,
den wir von den physikalischen Phänomenen haben,
von den Spiritualisten nur unvollkommen verstanden.
Die abgegebene Erklärung von tausend Personen,
dass jede von ihnen besonders einen Geist gesehen habe,
würde noch kein Beweis für die Existenz von Geistern sein,
weil es nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich
ist, dass das, was Jeder mit seinen Augen zu sehen glaubte,
blos ein geistiger Eindruck war. Aber wenn zwei glaubwürdige
Personen erklären, dass sie denselben Geist in dem
nämlichen Augenblicke sahen, so nimmt das Argument eine
andere Beschaffenheit an wegen der Unwahrscheinlichkeit,
dass ein ähnliches Bild in zwei Seelen in demselben Augenblicke
sich von selbst gestalten sollte. Die Wahrscheinlichkeit
, dass es etwas Wirkliches ausser ihnen war,
das auf die äusseren Sinne eines Jeden in demselben Augenblicke
Eindruck machte, und nicht eine blos geistige
Vision, wächst ungeheuer durch jeden neuen Zutritt zur
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