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480 Psychische Studien. IX. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1882.)
Erscheinungen stellt, da mag man sie nicht deshalb negiren,
weil man sie nicht zu erklären vermag, sondern man mag
die Erklärung suchen, um, wenn es möglich ist, aus den
Erscheinungen die Ursachen und aus diesen die bewegenden
Gesetze und Kräfte abzuleiten." —
Wünschelruthe. — Paris, 27. September 1882.
Vor einigen Tagen verbreitete sich die unglaubliche Kunde,
dass die Regierung einer Thörin gestattet hätte, in den
Königsgrüften der Kathedrale von St. Denis*) nach Schätzen
zu graben, von denen sie behauptete, dass sie seit der Revolutionszeit
dort verborgen wären. Die Sache bestätigt sich,
und man erfährt darüber aus zuverlässiger Quelle Folgendes:
Eine Frau Cailhava, die im Montmartre wohnt, wandte sich
schon vor vier Jahren an den damaligen Unterrichtsminister
mit der Bitte, in der Hauptkirche von St. Denis Nachforschungen
anstellen zu dürfen, und zeigte denen, die sich
für sie interessirten, eine Art Wünschelruthe mit der
Versicherung, dass die Spitze derselben sich gen Boden neige,
wo derselbe edle Metalle enthalte.**) Zwei Jahre später
wurde ihr die Bewilligung ertheilt, aber im entscheidenden
Augenblick ergab es sich, dass der Schatzgräberin die Summe
fehlte, welche sie im Finanzministerium hatte erlegen sollen.
Wieder verstrichen zwei Jahre, während welcher Frau Cail-
hava einen Capitalisten suchte und endlich fand. Vor einigen
Wochen konnte sie endlich die paar Tausend Francs hinterlegen
und erhielt von der Domänenverwaltuug die Erlaub-
niss, in den Grüften von St. Denis nachgraben zu lassen.
Nach mehrtägiger Arbeit wollte die Frau bemerken, dass
die Ruthe sich nach einer bestimmten Stelle hinbog. Man
grub noch eifriger, öffnete eine Kerbe von 1.70 Meter Länge,
1.20 Meter Breite, 1.50 Meter Tiefe und fand darin einen
alten Schlüssel, einen rostigen Fingerhut und einen Todten-
knochen.***) Madame Cailhava verzweifelte immer noch nicht
und wollte die Arbeiten fortsetzen lassen; allein der Archi-
tect der Domänen widersetzte sich aus technischen Gründen
und die Aermste sah sich abermals in ihren Erwartungen
getäuscht, soll aber entschlossen sein, ihre Bemühungen
nicht aufzugeben. („L. Tagebl." v. 2. October er.)
*) Vgl. September-Heft 1882 S. 425 Note 1. -
**) Vgl. November-Heft 1878 S. 483: „Das Quellensuchen" von
Qctwiillo Hctsl/itiflßv•
***) V&1. Mai-Heft 1882 S. 222 Note und vorliegend Heft S. 460.
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