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490 Psychische Studien. IX. Jahrg. 11. Heft (November 1882.)
barer und mehr im Widerspruch mit der gemeinen menschlichen
Erfahrung sein, als es die Thatsache ist, die er bestreitet
. Ich sage ihm wie Anderen: „Leugnen Sie nicht
eher, als bis Sie geprüft haben; dann sagen Sie, ob Ihre
Sinne getäuscht sind. So lange Sie nicht Ihre eigenen
Da unser Skeptiker jedenfalls a priori nicht an Geister des Jenseits
glaubt, so bleibt ihm naturgemäss nichts weiter übrig, als an eine
seinem Wissen noch verborgene menschliche Kraft des Mediums
zu appelliren, um eine richtige Eiklärung der sonst total unerklärlichen
Vorgänge zu gewinnen. Derartige geheime Beweg- und andere
Kräfte treten nun bekanntlich bei Somnambulen oder sog. Medien
auf, und es gilt daher, diese Personen einer exacten Prüfung zu
unterwerfen. — Aber dennoch stimmen auch wir mit den weiteren
Gründen unseres ehrsamen Richters Cox über nichtoptische Täuschung
der Sinne trotz aller seine Maasse nicht ganz übeiein. Gesetzt, er hätte
ein oberes Bühnen-Spiegelbild einer tieferen Versenkung vor sich,
so könnte er auch dessen Bewegungen richtig zu anderen Gegenständen
der Bühne abmessen, und doch würde der reale Gegenstand
in der Versenkung sich nicht wirklich unter diesen anderen Gegenständen
der Bühne bewegen! Und mit aus dem Medium hervorgespiegelten
inneren Vorsteliungs- oder Erinnerungsbildern wäre dies
derselbe Fall. — Weiter würde ihn eine noch so grosse Anzahl
von Zeugen noch nicht über die Realität einer Erscheinung vergewissern
. Angenommen, es stehe ein Mensch auf einer Brücke und
blicke dem ihm zufliessenden Strome entgegen» Plötzlich wird er
die Brücke flussauf sich bewegen sehen, sogar mit seiner leibeigenen
Person! Es werden sich bald Hunderte von Zuschauern um ihn versammeln
und ihm genau dieselbe Erscheinung bestätigen: — und
doch war und ist Alles nur eine subjective Täuschung! Der scheinbare
Auf- und Niedergang der Sonne, das Vorüber tanzen der näheren
und das Mitgehen der entfernteren Gegenstände an einem dahinbrau-
senden Eisenbahnzuge gehören in dieselbe Kategorie. Alle Menschen
sehen und erleben dergleichen Erscheinungen an Brücken und auf
Eisenbahnen und bei Beobachtuug des Himmels, aber Niemand glaubt,
dass das übereinstimmende Zeugniss ihrer Sinne absolut wahr sei.
Und doch würden sie die Erscheinungen als solche beschwören können
und müssen. Nur wer auf der Brücke steht und auf das strömende
Wasser blickt, nur wer den Himmel beobachtet oder auf der Eisenbahn
fährt, erlebt dergleichen Sinnestäuschungen: — und nur wer
sich mit somnambulen Medien mit derlei Kraftbegabungen beschäftigt
oder selbst in einen ähnlichen Zustand gerath, sieht Geister und erhält
physikalische Phänomene! Die übrige, ausserhalb dieser Bedingungen
stehende Menschheit sieht solche für gewöhnlich nicht.
Und wenn sie auch die ganze Menschheit in demselben gegebenen
Falle sähe, sie befände sich doch dann ebenfalls nur in einem bedingten
Ausnahmsfalle und hätte mit ihm vorerst zu rechnen gegenüber
der ganzen übrigen Wirklichkeit, ehe sie buchstäblich an
dieses ganz ausseigewöhnliche Zeugniss ihrer Sinne glaubte. Sicher
sieht und nimmt man diese Dinge wahr: — aber ob sie darum wirK-
lich wahr und nicht bloss so für wahr genommene sind, das ist
eben Sache eines eingehenden Studiums unserer Sinnes-Funktionen,
welches den mediumistischen Phänomenen mit der Zeit sicher eine
grosse physiologische und psychologische Kenntnisserweiterung verdanken
wird, da hierbei noch einige andere Nüsse über spezifische
Seelenfunktionen mit zu knacken sind, — DerUebers,
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