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Ed. Jankowski: Ein Traum.
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uns zu gefahren kamen. Sie waren uns wohl so nahe, wie
die beiden Fahrzeuge des Traumes, als wir ohne jeglichen
Unfall auswichen und den Bürgersteig, welcher auf der
Pürstenstrasse den Gymnasial-Garten entlang sich hinzieht,
betraten.
Es war das erste Mal in meinem Leben, dass mir ein
Traum im Wesentlichen in Erfüllung gegangen war; weshalb
es begreiflich ist, dass ich nicht wenig darüber erstaunt
war. Die Zeit des täglichen Eintreffens der Post auf jener
Strasse mochte mir wohl bekannt sein. Doch hatte ich
von Niemand erfahren, dass etwa Jemand die Absicht habe,
zu derselben Zeit in einer Kutsche vorbeizufahren. Und
sollte ich mir auch am Tage vor jener Nacht vorgenommen
haben, am Nachmittage des folgenden Tages mit meiner
Tochter jene Allee entlang spazieren zu gehen, so werde ich
dabei schwerlich an die Post gedacht haben, zumal gerade
die realisirten Geschehnisse des Traumes ganz unbedeutende
und deshalb wenig beachtete sind. Der Kernpunkt des
Traumes ist offenbar die Vermeidung der Gefahr des Ueber-
fahrenwerdens. Allein in der Wirklichkeit war eine solche
Gefahr gar nicht vorhanden, oder wenigstens nicht in dem
Maasse, da meine Tochter gar nicht zur Erde fiel und wir
auch Zeit hatten, den beiden Fahrzeugen, wiewohl sie uns
ganz nahe waren, auszuweichen.
Dieser Traum ist offenbar ein Gemisch vergangener und
zukünftiger Vorstellungen. Ich brauche hier den Ausdruck
„Vorstellung", insofern für den Geist zunächst alles Vorstellung
ist. Der Traum ist eine blosse Vorstellung, weil
wir glauben, dass ihm keine Wirklichkeit entspricht. Die
Oertlichkeit, welche dieser Traum darstellte, war der Vergangenheit
entlehnt und wich von der entsprechenden Wirklichkeit
ab; nur in Betreff der Kreuzung der Strassen traf
die Oertlichkeit des Traumes mit der Oertlichkeit der Wirklichkeit
zusammen. Alle übrigen Momente des Traumes
sind der Zukunft entlehnt, Der Traum stellt die Gefahr
grösser vor, als sie in der zukünftigen Wirklichkeit war. %
Betrachten wir den Traum als dramatische Scene, so sind
lediglich die Coulissen von der Vergangenheit genommen
und nur im Unwesentlichen von der Wirklichkeit abweichend,
im Wesentlichen dagegen, nämlich in der Kreuzung der
Strassen, mit der Wirklichkeit übereinstimmend, während
die Handlung selbst der Zukunft angehört. Es ist unmöglich
, die schnelle Aufeinanderfolge dieses Traumes und der
ihm entsprechenden Wirklichkeit für einen sogenannten Zufall
zu halten.
Wie erklären wir nun diesen Traum?
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