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506 Psychische Studien. IX. Jahrg. 11. Heft, (November 1882,)
"Wenn einen solchen Traum ein Anhänger der Philosophie
des Unbewussten träumte, sollte ihn derselbe nicht
über die Wahrheit seiner Weltanschauung zweifeln lassen?
Ich glaube kaum. Der wird einen solchen Traum sehr wohl
zu erklären wissen. Nach dieser Weltanschauung vollziehen
sich alle Geschehnisse mit absoluter Nothwendigkeit. Es
können hiernach alle Geschehnisse vor ihrer Realisirung
als unbewusste Vorstellung gedacht werden, während die
bereits realisirten Geschehnisse wieder unbewusste Vorstellungen
werden. Die einen wie die anderen unbewussten
Vorstellungen bleiben dem Unbewussten, dem Absoluten,
immanent, als deren jeweiliger Träger eine jeweilige Erscheinungsform
des Unbewussten, nämlich der menschliche
Geist, anzusehen ist. Durch irgend welche unbekannte Einwirkungen
treten nun bei einem solchen Traum die unbewussten
Vorstellungen der Vergangenheit und der Zukunft
ins Bewusstsein und gestalten sich zu einer harmonischen
dramatischen Scene, welche sich in dem Geiste als des die
Empfindung tragenden Subjekts abspielt. Dass solche
Traumesscenen nicht immer harmonisch und logisch sind,
weiss ja ein jeder aus seiner Traumerfahrung, während sie
andererseits an Prächtigkeit und Erhabenheit oft nichts zu
wünschen übrig lassen.
Wir, die wir wohl an das Dasein eines allper?Önlichen
Absoluten, nicht aber an die absolute Nothwendigkeit alles
Geschehens glauben, erklären einen solchen Traum aus der
Absicht des Absoluten. Dasselbe weiss das zukünftige Zusammentreffen
als ein von ihm beabsichtigtes und afficirt
dementsprechend das schlafende Ich in einem Traume. Das
Absolute weiss die zukünftigen Geschehnisse lediglich als
beabsichtigte, es schaut sie nicht eher, als bis es sie reali-
sirt. Denn wenn das Absolute die realen Geschehnisse
schauen würde, bevor sie real wären, würde es etwas
schauen, was nicht da wäre, was offenbar gegen das Gesetz
der Identität wäre. Wir meinen aber, dass über das GeGesetz
der Identität auch das Absolute nicht hinwegkommt,
insofern es dem Wesen desselben entstammt und die Basis
aller Wahrheit ist. Wenn wir die absolute Giltigkeit des
Identitätsgesetzes läugnen wollen, trotzdem diese Absolutheit
für uns lediglich eine geglaubte ist, so bemühen wir
uns nicht erst, etwas durch logisches Beweisen darthun zu
wollen; mit dem Identitätsgesetz steht und fällt alle Logik.
Man wird durch keine Erfahrungsbeispiele etwas logisches
Unmögliches als wirklich beweisen können. Wenn ich auf
einem hohen Berge stehe und einen Reiter früher sehe, als
ein niedriger Stehender, so sehe ich doch jedenfalls den
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