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514 Psychische Studien. IX. Jahrg. 11. Heft. (November 1882.)
sehen, sondern auch gegriffen wurden, so kann von einer
Hallucination nicht die Bede sein; es wäre schwer, unsere
Gesichts- und Tast - Empfindungen als blos durch die psychische
Kraft des Mediums hervorgerufen zu halten; mit
demselben Rechte könnte man — wie der ältere Fichte —
Alles, selbst ein Haus oder einen Eisenbahnzug, für ein
blosses Hirngespinst erklären und der Welt jede Realität
absprechen.*)
*) Der geehrte Herr Verfasser schliesst hier zu weit. Bei den
mediumistischen Erscheinungen, die ja immer nur vorerst Erscheinungen
sind und bleiben, welche noch der wahren Aufklärung bedürfen
, haben wir es offenbar mit anormalen Sinnesfunktionen und
Leistungen zu thun. Die meisten Medien sind in ihren Nervensystemen
notorisch gestört. Gesichts- und Tastempfindungen zugleich
beweisen unseres Eiachtens noch nicht die reale Wirklichkeit
eines jenseitigen Geistes. Geistererscbeinungen rangiren nicht in
einer Linie mit sinnlich wirklichen Naturdingen. Letztere werden
stets und von Allen gleichzeitig und in regelmässiger Wiederkehr
der auf sie gelenkten Beobachtung mit sich übereinstimmend wahrgenommen
, erstere aber nicht. Das ist ein gewaltiger Unterschied.
Um Geistererscheinungen zu sehen, dazu hedarf es eben der Medien,
wie um eine Gegend grün zu sehen, eines grünen Glases. Ist darum
die Gegend wirklich an sich selbst grün in Folge eines solchen Mediums
? Gewiss nicht. Die Psyche eines Mediums ist ein solches
nicht bloss gefärbtes, sondern Erinnerungsbilder projicirendes Medium,
welche nicht in realer Wirklichkeit vorhanden sind. Hansen konnte
kraft seines angeblich magnetischen Willens sensitive Personen
einen Kronleuchter für einen mit den schönsten Früchten behangenen
Birnbaum ansehen, rohe Kartoffeln tür Tatelbirnen essen, Wasser als
Wein oder Tinte trinken lassen, — wobei Gesicht, Geruch, Geschmack
und Gefühl gleichzeitig haliueinirt waren. Wie, wenn ein starkes
Medium die Gabe besässe, alle diese Hallucinationen nicht bloss auf
sensitive Personen, sondern selbst auf gesunde normale Sinnesmenschen
tibeizutragen? Dass diess geschieht, dafür liegen eklatante Beweise
in Menge vor. Wir eiinntrn nur an den „Psych. Stud.", Oktober-
Heft 1882, S. 469 ff. citirten Fall eines türkischen Derwisches. Und
so dürtteu noch so wunderbare Erscheinungen Verstorbener nichts
für deren solchartige reale Existenz im Jenseits beweisen. Wenn
uns solche tagtäglich und in jedem Augenblicke unserer willkürlichen
Beobachtung erschienen, wie die uns umgebenden Naturdinge und
Organismen, dann hatten wir kein Recht, sie für blosse Sinneshallu-
cinationen zu halten. Doch wäre das Merkmal der Fremdartigkeit
und Seltenheit ihres Erscheinens allein noch kein Beweis für ihre
reale Nichtexistenz, wie uns Sternsebnuppen, Kometen und andeie
seltene Naturobj»'«-te nahe führen Geisterei scheinungen sind nur darum
subjecuv, weil sie, \Ue jene katurobiecte, nicht allen Beobachtern
in gen<,u derselben Weise et scheinen, nicht vom Medium
hinweg und selbststäniig wie ein Mensch in jeder Gesellschaft sich
für sich weiter bewegen. Sie hängen lediglich vom Medium und
de ssen Lebenskraft ab. Sie sind Automaten, Homunculi des Mediums,
wie die neueren Entlarvungen von Geistern, die sich flugs in das
Medium verwandelten, in Amerika und England schlagend nachgewiesen
haben. Diesem Dilemma werden die Spiritisten niemals entrinnen
, dass ihre angeblichen Geister entweder als absichtliche oder
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