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Strigel: Philosophische Forschungen über Geist und Materie. 39
Aus dem schriftlichen Nachlass Dr. Rbsenkrantz's vertraute
mir Hr. Dr. Koch den Grundriss der Ä.'schen Philosophie
zur Informirung an, und für diese Güte spreche ich
hier meinen Dank aus. Zum ohngelähren Verständniss erlaube
ich mir des Weitern aus diesem Grundriss Folgendes
mitzutheilen, nachdem ich noch bemerke: wie die drei Mächte
des unbedingten Seins im göttlichen Denken und Wirken
sich bethätigen, so erscheinen dieselben als drei Thätigkeiten
im entwickelten Geiste. Rosenkrantz bezeichnet die positive
Thätigkeit mit +; die negative, begrenzende mit —; und
die positive (expansive) und negative, verbundene und verbindende
, synthetische mit +. Da heisst es nun unter der
Ueberschrift: —
A Das Selbstbewnsstsein.
„Im eigenen Sein ist zwar die -f~ Thätigkeit von der
— Thätigkeit beschränkt, aber nicht überwunden. Sie ist
ja unendlich, dauert daher innerhalb der Schranke noch fort,
Band einer allgemeinen Zielbestimmung verräth uns, dass sie für sich
selbst gar nichts sind, sondern dass ein Etwas in ihnen sie trägt, leitet
und beständig über sie hinavsgreift. Und da wir die Formen sich stets
verändern sehen, so muss die hinter ihnen treibende Kraft mehr Realität
sein und enthalten, als die zur Z°it sinnlich wahrnehmbare Stoffmasse
und Formbildung derselben. Ein Schneemann, den die Sonne
innerlich ausschmilzt und nur noch äusserlich als obei flächliche Schneekruste
stehen lässt, ist zwar noch in der Form, aber nicht mehr im
Stoß geh alt derselbe. Ein todter Leichnam ist zwar dem Stoffe und
der Form nach, aber nicht mehr in seinen Lebensäusserungen derselbe
. Beide muss doch wohl ein reales Etwas verlassen haben, das
mehr ist wie ihre empirische Stoff- und Form-Erscheinung. Wir kennen
eben die hinter den Erscheinungen genau nothwendige Quantität und
Qualität der Stoffe und Formen zu ihrer Bildung nicht und können
somit auch nicht bestimmen, in welchem Augenblick beide wirklich
identisch oder verschieden von einander sind. Wir erfahren nur, dass
sich beständig die Krälte von ihren Stoffen, und umgekehrt, die Stoffe
von ihren Kräften oder Formen trennen, scheiden - und unsere
Scheidekunst oder Chemie ist nur ein einzelner bestimmter Ausdruck
dafür. Diejenige Kraft, welche stets ihrem Stoffe äqual ist in den
Dingen oder Erscheinungen der Dinge, ist nicht diejenige Kraftrealität
, welche beide weiter bewegt, verbindet oder zersetzt. Das ist ganz
genau festzuhalten. Hier liegt unseres Erachtens der entscheidende
Differenzpunkt zwischen den bisherigen materialistischen und scholastischen
Stoff- und Kraft-Theorien und einem philosophischen Realidealismus
, welcher das eigentliche „l>ing an sichtf von dessen Kraft-
und Stoff-Erscheinung scharf unterscheidet. Wir verweisen hinsichtlich
des Unterschiedes von Geist und Materie, Kraft und Stoff auf unsere
Noten S. 414 und 467 des Jahrganges 1882. Herr Dr. Koch hat sich
aber in seiner obigen Auseinandersetzung von Stoff und Kraft offenbar
nur an ihre empirische Erscheinung der Deutlichkeit wegen gehalten.
Vielleicht ist er im Uebrigen ebenfalls unserer Ansicht. —
Der Sek. d. Red.
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