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250 Psychische Studien. X. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1883.)
ragen und Wirken in die diesseitige Welt aber nur mit
höchster Vorsieht und Umsicht zu ermitteln und festzustellen
sein. Welchen Schwierigkeiten wir dabei auf allen Seiten
begegnen, das haben uns die Erfahrungen der letzten zehn
Jahre vollauf bewiesen. Wir haben uns stets durch die
Thatsachen leiten lassen, aber nur an der Hand fester und
sicherer logischer Erkenntniss-Prineipien.
Es ist nach Hegel nur die „List der Idee'\ welche die
erste naive Erklärung der Phänomene oft zuletzt in ihr
sinnenfälliges Gegentheil umschlagen liess, ähnlich wie die
blaue Domwölbung des Himmels über uns mit seinem abgeschlossenen
Horizonte bei immer grösserer Annäherung
an ihre scheinbaren Grenzen in umgekehrte Wölbungen und
immer neue Horizonte sich verwandeln. Aehnlich ergeht
es uns mit den höchsten Ideen. Nur das Studium der
iranischen Erkenntnisstheorie und der an ihr
fortbauenden grössten und tiefsten Denker unserer Nation
vermag uns hier den sicher leitenden Ariadne -Faden
aus diesem Labyrinthe der Antinomieen an die Hand zu geben.
Blosses sogenanntes Thatsachen-Studium ohne
philosophische Erkenntnisstheorie wird ans allein nicht voll
aufzuklären vermögen. Denn es giebt keine Erkenntniss
blosser Thatsachen ohne eine geistige Erkenntnissbrille
, nach deren geschliffener und gefärbter Beschaffenheit
diese Thatsachen alsdann gestaltet und gefärbt erscheinen.
Hierin liegt allein der Grund so vieler, nunmehr deutlicher
als je, auch in unserem Gebiete zu Tage tretender Meinungsverschiedenheiten
über ein und dieselben Thatsachen-Vorgänge.
Wer anders vermöchte nun hier zu vereinen und zu
versöhnen, zu harmonisiren und in's richtige Gleichgewicht
zu versetzen, was aus demselben geworfen ist, als ein ehrliches
wissenschaftliches und philosophisches Studium unserer
gemeinsamen Seelenkräfte und Functionen? Wer uns nun
auf diesem Wege weiter folgen will, der sei hierdurch aufs
höflichste eingeladen zum weiteren Abonnement auch im
letzten Semester dieses Jahres von
Der Redaktion und der Verlagshandlung.
Leipzig, den 27. Mai 1883.
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