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268 Psychische Studien. X. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1883.)
wird darnach wieder in den Fesseln vorgefunden. Wie
werden wir ein solches Phänomen erklären?
Man wird folgende Möglichkeiten der Erklärung anführen.
Erstens: das Volumen des Körpers des Mediums zog sich
so zusammen, dass das Medium aus der Fessel herausschlüpfen
und in dieselbe hineinschlüpfen konnte. Zweitens:
die Molekeln des Körpers und der Kleidung des Mediums
und der Fessel lösten sich für einen Augenblick von einander
und Hessen die Molekeln des Körpers und der Kleidung
des Mediums zwischen die Molekeln der Fessel hindurch.
Drittens: das Medium mit seiner Kleidung einerseits und
die Fessel andererseits wurden wie Materien verschiedener
Welten für einen Augenblick gleichzeitortig.*) Viertens:
das Medium blieb unverändert in seiner Fessel auf dem
Stuhle, während die Zuschauer durch gemeinsame anormale
Sinnesbilder, welche harmonisch in die Wirklichkeitsvorstellungen
sich mischten, getäuscht wurden. Fünftens: eine
Materie giebt es überhaupt nicht, sie ist blosse Vorstellung
des Ich; die von den Wirklichkeitsvorstellungen abweichenden
Vorstellungen der Zuschauer sind durch die psychische
Kraft**) des Mediums hervorgerufen; ob diese Kraft hierin
gewissen Gesetzen folge, ist noch za erforschen.
Kein kritischer Forscher wird die erste Art der Erklärung
annehmen, wenn er sich nicht mit seinen eigenen
Augen überzeugt hat, dass es so geschehen; und dann wird
er den Vorgang auch noch für Sinnestäuschung halten, wenn
er nicht in gewissen Fällen regelmässig stattfindet, sodass
sich jedermann davon überzeugen kann, sodass sich derartige
Geschehnisse in die tagtägliche Erfahrung einreihen,
wie die Wirkungen des Dampfes und des Elektromagnetismus
, welche man ja früher auch nicht kannte.
Die zweite Art der Erklärung wird man wohl schwerlich
durch mikroskopische Instrumente als wirklich konsta-
tiren können und daher der Erklärung durch anormale
Sinnesbilder den Vorzug geben.
*Tsiehe „Psych. Studien41, X. Jahrgang, III. Heft (März 1883),
S. 137—142.
**) Ich hemerke hier, dass mir die Bezeichnung „psychische
Kraft" angemessener erseheint, als die Bezeichnung „psychischer
Magnetismus", welche ich in meiner „Phänomenologie und Metaphysik
der anormalen Sinnesbilder" (Leipzig, 1882, Oswald Mutze, S. 130) gehraucht
habe, da der Ausdruck „Magnetismus1* zunächst eine Kraft
der Materie bezeichnet, wahrend der Ausdruck „Kraft" von ganz allgemeiner
Bedeutung ist. An sich ist freilich drr Ausdruck „psychische
Kraft" intellektuell oder abstrakt zu fassen (s. meinen „Pisticis-
mus und Substanzialismus", (Köthen 1880, Paul Schettler, 4 h S.
65 fg.), doch können wir dergleichen intellektueller und abstrakter
Bezeichnungen nicht entbehren.
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