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278 Psychische Studien. X. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1883.)
nisstheorie zu schaffen. Dasjenige, was Kant mehr apriorisch
und deductiv erwiesen hatte, wollte man auf empirischem
Wege erhärten, und so entstanden alle jene werthvollen
Untersuchungen, die uns über unser Verhalten zur
Aussenwelt aufklären. In rastloser Arbeit wurden unsere
Wahrnehmungen immer aufs Neue wieder zergliedert und
auf genaue Bedingungen unseres psychischen Verhaltens
sowohl, als des uns treffenden Reizes zurückgeführt; mit
einem Worte, es entstand nunmehr, was Herbari auf deduktivem
Wege schaffen wollte, eine Mechanikdeb Greistes.
Es würde hier zu weit führen, den Verlauf dieser Ent-
wickelung im Einzelnen zu verfolgen; wir begnügen uns mit
der Hervorhebung desjenigen Resultates, das alle jene
Untersuchungen belohnte. Nicht kürzer wüssten wir uns
auszudrücken, als wenn wir es als die völlige ünver-
gl ei c h b a r ke i t desReizes mit der Empfindung
bezeichneten.
„Wie für das bewaffnete Auge eine anscheinend ganz
continuirliche Masse sich auflöste in eine Reihe einzelner,
durch Cohäsion zusammenhängender Theilchen, so verschwanden
auch für den philosophischen Blick diese letzten
Reste materieller Existenz und wurden zu punktuellen
Trägern von aus- und eingehenden Wirkungen. Rastlos in
der Welt schwingend, treffen diese untheübaren Einheiten
oder Atome unsere Sinn es Werkzeuge und veranlassen unsere
Seele zu Rückwirkungen, die wir Empfindungen nennen.
Aber wie eine bestimmte Anzahl von Aetheroscillationen
an sich Nichts mit jener bestimmten Earbe zu schaffen hat,
welche schliesslich auf Griund jenes Reizes als qualitative
Erregung der Seele entsteht, so unvermittelt stehen sich
Empfindung und Bewegung, diese beiden Endglieder
des Prozesses, einander gegenüber. Nie giebt es einen
Augenblick, wo es sich von selbst verstände, dass irgend
eine Schwingung der Luft nun aufhörte, als solche zu
existiren, um dann als Klang neu geboren zu werden; vielmehr
sind hier zwei Erscheinungen an einander gekettet,
die innerlich nicht aus einander ableitbar sind.*) Wer
die Empfindung als selbstverständliches Produkt aus der
sie veranlassenden Bewegung deducirt, begeht den handgreiflichen
Fehler des Materialismus; wer umgekehrt die
Bewegung aus der Empfindung entstehen lässt, verfällt
einem völlig haltlosen Traumidealismus. Wir sehen also
*) Man vergl. den Artikel: „Die Correspondenz und die Differenz
von Bewegung und Empfindung, oder Monismus und Dualismus" im
September-Heft 1882 der „Psych. StucL" S. 418 ff. W*
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