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280 Psychische Studien. X. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1883.)
geschlossen, dass ein Agens vorhanden sein müsse, welches
aus den Schwingungen der Atome die färben- und klangreiche
Welt der inneren Erregungen hervorriefe. Dieses
nenne man nach dem Vorgehen der Sprache bei den verschiedenen
Völkern Seele, einerlei, welches im Uebrigen die
Eigenschaften desselben seien. Ein hinzukommender ftrund
für die Bildung jener Vorstellung liege aber in dem \: , y-
chischen Prozesse der Reproduktion verschiedener
Vorstellungen in ein und demselben
Individuum; falls diese nicht als gänzlich
neue jedesmal aus der Tiefe des Bewusstseins auftauchen
sollten, so sei die Einheit der sie hegenden und erzeugenden
Faktoren nothwendig. Diese Einheit, welche
den inneren Zusammenhang aller psychischen Erlebnisse
verbürge, werde mit dem Namen des „Ich" oder auch des
,,Selbstbewusstseins" bezeichnet. Das etwa sind die Grundlinien
und Umrisse, welche die experimentelle Psychologie
an der Hand ihrer Beobachtungen gewonnen
und ihren weiteren Folgerungen zu Grunde gelegt hat." —
„Und damit kommen wir auf die zweite Errungenschaft
, welche wir der jüngsten Epoche dieser Forschung
verdanken. Bestand das erste Merkmal derselben in der
vorsichtigen Abgrenzung des zu behandeirden Stoffes, desjenigen
, was nach Kant „mögliche Erfahrung" genannt wird,
(welche nicht im Erforschen des „Dinges an sich", sondern
vielmehr im Erforschen der „Erscheinung" besteht, welche
das einzig erfassbare Objekt für unsere Erkenntniss ist,)
so sehen wir die zweite Eigenthümlichkeit in der Anwendung
der Methode« "Während die bisherige Untersuchung theils
mit der Spekulation, theils mit der Selbstbeobachtung
arbeitete, (vor der übrigens Kant, als \ielen un-
bewussten Täuschungen unterworfen, dringend warnte,)
erlangte die moderne Psychologie in dem Experiment
ein vorzügliches Hilfsmittel für ihre Analysen. Durch die
eingehende Zergliederung der psychischen Prozesse wird
der Nachweis geliefert, dass der eigentliche vorbereitende
Hintergrund für die Erscheinungen des bewussten Seelenlebens
im Unbewussten liege, und schon die Thatsache der
einfachen Empfindung ist nach der Ansicht der hervorragendsten
Autoritäten, wie Ilelmholiz, Wundt u. A., nicht ohne
die Annahme eines unbewussten Schlusses zu begreifen . . ♦
Dass nicht der kindliche Versuch gemacht werden soll, das
immaterielle Wesen der Seele experimentell zu erfassen,
sondern nur die psychischen Funktionen, dass mithin aus
einem Eückschluss von der Wirkung die Ursache erkannt
wird; bedarf keiner ausführlichen Erläuterung. Es wäre
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