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298 Psychische Studien* X. Jahrg. 7. Hett. (Juli 1883.)
und trotzdem ich grosse Furcht vor Wasser empfinde, ängstigte
ich mich doch nicht und war mir so zu Muth, als
wenn ich einem grossen Glück entgegen gehen würde. Das
Schiff wurde wie von unsichtbarer, aber sicherer Hand durch
das tobende Wasser geleitet und war umgeben von einem
ganzen Schwärm grosser weisser Vögel, deren Köpfe eine
merkwürdige Aehnlichkcit mit Menschengesichtern hatten.
Immer schneller wurde die Fahrt, mit rasender Geschwindigkeit
ging es immer weiter und weiter: hohe Wellen umgaben
das kleine Schiff, und doch kannte ich keine Angst.
Schliesslich fragte mein Begleiter mich, wo icn denn hin
wolle, ob ich ein bestimmtes Ziel vor Augen habe, ob ich
die Gegend kenne, wo wir hinkommen? Worauf ich ihm
erwiederte, dass ich schon ein Mal dort gewesen, dass ich
ihm einen so unnennbar schönen Ort zeigen würde, dass er
stets Sehnsucht nach demselben empfinden würde, und dass
sein Sohn mich dort erwarte, um mir eine Botschaft zu
überbringen. —
Die hohen Wellen verschwanden nun, das Wasser wurde
ruhiger, der Himmel, vielmehr die Wolken, wurden durchsichtig
klar, intensiv blau und senkten sich so tief auf uns
herab, dass wir in Wolken eingehüllt waren. Wir erreichten
ein Land von paradisischer Pracht, die schönsten Blumen
umgaben uns, aber ganz anders geformt: herrlicher die Farbe,
prächtiger der Duft, schöner, wie wir sie auf Erden haben.
Das Gesicht meines Begleiters strahlte vor Glück, und er
sprach: ,.,Hier wollen wir immer bleiben, hier ist das Paradies
!" Doch wps sahen nun unsere Augen? Rechts von uns,
so weit wir sehen konnten, ein überirdisch schöner Anblick!
Ein köstliches Wolkengebilde, wie wir es noch nie gesehen,
und in diesem Wolken gebilde eigenthümlich gestaltete Schatten,
noch etwas heller wie die Wolken, aber Millionen und aber
Millionen, gar nicht zu zählen, bewegten sie sich hin und
her, und war es ein erhabener Anblick, das zu beobachten.
So herrlich dies war, so grauenerregend, entsetzlich
war das, was unsere Augen links von uns sahen. Dunkle
Wolken jagten durch einander, und in denselben bewegten
sich noch dunklere Schatten unheimlich, ruhelos hin und
her. Es war ein so sohaueriieher Anblick, dass ich denselben
gar nicht los werden kann. Als ich mich voller Entsetzen
abwandte und die Augen schloss, hörte ich ganz laut drei
Mal meinen Namen rufen, und wussteich, dass es mein Schutzgeist
sei. Aus dem herrlichen Wolkengebilde nahte ein
Schatten, derselbe schwebte auf mich zu, nahm menschliche
Gestalt an; doch sah ich nur das Gesicht mit den
überirdisch leuchtenden Augen und die rechte Hand, alles
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