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326 Psychische Studien. X. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1883.)
Communication eines angeblich noch so hohen im Jenseits
weilenden Erdengeistes offenbart hat, welches den Inhalt
dieser beiden Dichtungen überflügelte, ja ihm auch nur
immer nahe käme an Schönheit und tiefem Sinne. Daraus
ergiebt sich der höchst trostvolle Schluss, dass wir durchaus
nicht von mediumistischen Leistungen allein abhängig sind,
um den Glauben und die Ueberzeugung an unser ewiges
Leben rege und wach zu erhalten. Mögen die angeblichen
Thatsachen-Beweise des modernen Spiritualismus und Spiritismus
in Bezug auf wirklich sich offenbarende persönliche
Geister des Jenseits vor der strengen Kritik sich immerhin
, verflüchtigen, die Gewissheit eines ewigen Lebens
werden wir doch behalten durch die uns stets zu Theil
werdenden Inspirationen der hohen Genien der Kunst, Philosophie
und Religion.
Kehren wir noch einmal zu unserem Maler - Dichter
Gottfried Keller zurück. Er hat offenbar über dieselben
Räthsel und Probleme in seiner "Weise geforscht und tief
nachgesonnen. Aber sein Blick wurde durch die gebrochenen
Regenbogenfarben der sonnigen Erdenwirklichkeit immer
wieder mehr auf die sinnliche Seite der Natur vorwiegend
zurückgelenkt. Dürfen wir den Doppel - Künstler deshalb
tadeln? Ich glaube nicht. Wie heilbringend diese seine
Richtung unter Umständen sein und werden kann, das beweist
auf das Eklatanteste seine „Ursula" im 2. Bande seiner
„Züricher Novellen". (Stuttgart, 6. J.Göschen, 1879).
Die G eschichte spielt zur Zeit des Reformators Zwingli und
schildert gewisse krankhafte religiöse Verirrungen seiner
Zeit, welche manchen modernen spiritistischen wie ein Ei
dem andern ähneln. Ursula wird von einem für seine Zeit
wirklich frommen Schweizer Landsknecht geliebt und durch
diese Liebe und die Erschütterungen der tragischen Schlacht
beim Kloster Cappel, in der Ulrich Zwingli fiel, von ihrem
stillen religiösen Wahnsinne für ein treues eheliches Leben
gerettet. Wir ziehen daraus die schlichte Wahrheit, dass
alle in uns gelegten irdischen Triebe oder seelischen Neigungen
und Fähigkeiten die Kraft in sich tragen, sich sowohl
einseitig zu unserem Verderben, als auch allseitig zu
harmonischem Verein und Glück für uns zu entwickeln.
Selbst die schlimmsten Verirrungen sind durch das Licht
der hellen Vernunft und die Wärme der Liebe zu curiren.
Aber Beide müssen im Irrenden selbst angeregt werden,
und die Heilung muss von seiner eigenen psychischen Mit-
thätigkeit ausgehen. Und wo wäre dies wohl mehr am
Platze als im Gebiete spiritistischer Probleme, welche nur
durch die volle Einsicht der mit ihnen sich Beschäftigenden,
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