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422 Psychische Studien. X. Jahrg. 9. Heft. (September 1883.)
16 R. Winkel u. s. w. aufzeigen, was der anschaulichen
Wirklichkeit offenbar widerspricht. Nur wirkliche Kenner
der Euklidischen wie absoluten Geometrie
werden diese scheinbaren Paradoxa oder Widersprüche vollständig
verstehen und würdigen. In den höchsten Erkenntnissgebieten
bewegen wir uns bekanntlich in lauter solchen
scheinbaren Antinomieen. Jedenfalls würde Prof. Zöllner,
wenn er noch weiter gelebt und sich mit diesen Problemen
beschäftigt hätte, schliesslich zu demselben anschaulichen
Resultate gekommen sein, welches er wohl nur
deshalb nicht anschaulich machen zu können glaubte, weil
er schon Schwierigkeiten genug fand, den Theologen und
selbst vielen Gelehrten seiner Zeit den richtigen Begriff von
Dimensionen überhaupt beizubringen!
Kehren wir zu unserem höchst sinnenfälligen Beispiele
der beiden von unserem Horizonte aus zur Sonne hin gezogenen
und hinter dieser sich scheinbar schneidenden
Winkellinien zurück. In Wirklichkeit haben wir anstatt
eines deutlich erscheinenden spitzen Winkels hinter der
Sonne gar keinen Winkel daselbst, sondern nur eine riesige
Schenkelöffnung. Sonach täuscht uns die sinnliche Anschauung
und wir müssen sie beständig corrigiren.
Was aber so deutlich am Himmel gilt, dürfte wohl
nicht minder Gesetz auf Erden sein. Alle uns umgebenden
nächsten Körper, wie sie uns sinnlich erscheinen, sind eben
auch nur Phänomene, deren innere Wirklichkeit und
Grösse an sich eine ganz andere ist, als sie uns eben erscheinen
, oder 'wir von ihnen einseitig abstrahiren, ganz ähnlich
wie bei Sonne und Fixsternen. Unsere Euklidisch-geometrischen
Messungen an ihnen sind bei ihrer äusseren Erscheinung
zwar relativ ganz richtig, aber sie sind darum
keineswegs absolut richtig. Welche von allen mathematisch
construirten Kreislinien oder Kugeloberflächen würde z. B.
denen des Mondes genau entsprechen ? Sicher keine einzige!
Einem unendlich kleinen Wesen möchte selbst der spitzeste
absolute Winkel seines Aufenthaltes noch als ein senkrechter,
ja noch mehr, als ein gestreckter Winkel erscheinen, weil
er ja auch in ihm seine abstracten Raumbegriffe vollständig
entwickeln kann und er keine andere wirkliche Basis hat,
als die beiden Spitzwinkelschenkel, nach denen sich seine
übrigen Abstractionen richten müssen. Sein Zenith muss
also als Senkrechte mitten zwischen beide Spitzwinkelschenkel
fallen, die ihm dann als eine Gerade oder Basis erscheinen
mit rechten Winkeln zur Senkrechten. Lediglich nach einer
solchen Betrachtung quellen aus jedem Punkte der Wirklichkeit
, welcher* noch lange nicht der absolute Punkt zu
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