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460 Psychische Studien. X. Jahrg. 10. Heft. (October 1888.)
sind, die sich uns nur in gewissen von einander variirenden
Bewegungsarten darstellt, — das will sagen, die sich unsern
Sinnen in verschiedenen Formen je nach dem Stoffe, durch
welchen sie geht und den mannigfaltigen Zuständen, unter
denen sie sich unsern Sinnen darstellt, wahrnehmbar macht.
Wenn ich nun diese Lehre von der Wechselwirkung
der physischen Kräfte annehme, betrachte ich denn da die
psychische Kraft als zu diesen gehörig?
Selbstverständlich. Ich muthmaasse, obgleich es
noch nicht ganz bewiesen ist, dass die psychische Kraft
dieselbe Kraft sei, welche, wenn sie durch den Magneten
geht, Magnetismus, und wenn sie durch den Conductor einer
Elektrisirmaschine geht, Elektrizität u. s. w. genannt wird;
die aber, wenn sie durch die Nerven-Organisation oder auch
die organische Materie im Allgemeinen geht, sich in einer
speziellen Form darstellt und von ihren Darstellungen im
Magneten und in der Elektrisirmaschine, in der Wärme
und in den Lichtstrahlen ebenso unterscheidet, wie jede
einzelne von diesen Formen sich von den übrigen unterscheidet
. Die psychische Kraft kann mit der Lebenskraft
identisch sein; wahrscheinlich ist sie es auch. Unter dem Wort
„Lebenskraft" verstehe ich diejenige Kraft, welche die Maschinerie
des Körpers in Bewegung setzt und hält, und sie
befähigt, die Funktionen des organischen Lebens zu verrichten
. Sie ist für die körperliche Structur das, was der
Dampf für die Dampfmaschine ist; er ist nicht die Maschine,
aber die Maschine würde eine unthätige Masse sein ohne
die Kraft, welche der Dampf ihr mittheilt.
Die psychische Kraft selbst scheint mir rein körperlich
zu sein, — worunter ich verstehe, dass sie von der thierischen
Structur ganz abhängig und diejenige Kraft ist, durch
welche alle Verrichtungen des thierischen Lebens stattfinden,
— welche beständig aus den Nerven-Centren durch das
Nerven-System strömt und möglicherweise nach Art des
Blutes cirkulirt und gleich dem Magnetismus durch Induktion
thätig ist. Sie ist in der That das, was wir das
Leben nennen. Dass sie eine Kraft von enormer Gewalt
ist, kann aus einer Berechnung geschlossen werden, wie viel
Pfunde an Kraft das Herz allein in 24 Stunden anwendet.
Wenn diese Kraft, welche unzweifelhaft durch Jeden von
uns in 24 Stunden fliesst, gesammelt, verdichtet und gelenkt
werden könnte, so würde sie im Stande sein, Wirkungen
hervorzubringen, welche uns in Erstaunen setzen dürften.
Im normalen Zustande ist diese Kraft (man nenne sie
nach Belieben Lebenskraft oder psychische Kraft) auf ihre
eigentliche Pflicht der Unterhaltung der körperlichen Lebens-
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