http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1883/0506
*
498 Psychische Studien. X. Jahrg. 11. Heft. (November 1883.)
kannter Fall dieses Zustandes, und es ist bis jetzt noch
keineswegs sicher, dass manche der noch unerklärlichen
Phänomene des Traumes nicht in gleicher Weise erklärt
werden könnten.
Die Seele ist der beherrschende Wille, das Ich, welches
das Gehirn regiert, und durch das Gehirn die Nerven, und
durch die Nerven die Thätigkeiten des Körpers. Wenn
Alle sich im Zustande der Gesundheit befinden, so herrscht
ein vollkommenes Gleichgewicht der Kräfte in der menschlichen
Organisation. Die Seele richtet durch Vermitteluug
des Gehirn - Centrums die Nervenkraft auf die äusserste
Grenze ihrer Kraftwirkung, welche im normalen Zustande
das Ende der Nervenfasern bildet. Wenn aber die Nervenkraft
in einem ausserordentlichen Grade erzeugt wird, so
ist sie nicht auf die Grenze der Nerven beschränkt, sondern
geht über dieselbe hinaus und zeigt sich in den Erscheinungen,
denen der Name „Psychische Kraft" gegeben worden ist.
An sich selbst ist sie eine blinde Kraft, ähnlich wie die
Elektrizität oder der Magnetismus; aber gleich diesen ist
sie im Stande, von einer Intelligenz zu intelligenten Zwecken
verwendet zu werden. Wie die Intelligenz des Mr, Varley,
Mitgliedes der Royal Society zu London,*) die elektrische
Kraft leitet, welche blind aus der Elektrode zu einer intelligenten
Conversation mit Tausende von Meilen entfernten
Personen fliesst, so zeigt sich die psychische Kraft, vom
Gehirne des Psychikers gelenkt, m intelligenten Resultaten.
Wenn die Seele und das Gehirn normal zusammenwirken,
der Zeit erfasslich. Die reale Geisterwelt des Jenseits aber dürfte
sich wohl nur durch immer neue, befruchtende Ideen unseres höchsten
Vernunftempfindens, Denkens und Wollens kundgeben, durch jene
plötzlichen Einfälle des Genies, durch die sogenannte Inspiration,
welche nicht bloss Medien, sondern uns Menschen allen beständig zugänglich
ist. Das „es denkt in mir", „es erfasst mich", findet hierin
wohl seine beste und tiefste Erklärung. Ich bin seit lange erstaunt,
wie unsere Theoretiker und Praktiker des Mediumismus und Psychismus
(sammt denen der gläubigen Spiritualisten wie Spiritisten) noch
nicht auf den Gedanken gekommen sind, dass freie Geister der wirklichen
Geisterwelt sich nicht auf so armselige Weise mit ihren Medien
herumquälen werden, um nur zu einem einigermaassen entsprechenden
Ausdruck ihrer wahren Gefühle und Gedanken zu gelangen. Die
Geister haben das weit leichter, wenn sie auf uns nicht so indirekt
durch gestörte Seelenfunktionen, sondern auf unsere in vollem Gleichgewichte
befindlichen höheren Geistesvermögen und die aller normal
Besinnten direkt inspirationell einwirken. Wenn die fortgesetzte Beobachtung
der Medien uns zu dieser allgemeinen üeberzeugung mehr
und mehr bringen könnte, so wäre doch wahrlich ihr Studium kein
verlorenes gewesen t — DerUebersetzer.
*) Wir haben im September 1883 seinen plötzlich erfolgten Tod
zu beklagen (vgl. „Psych. Stud." 1874 S. 342; 1875 S. 106, 200; 1883
Nov.-Heft „Kurze Notizen." — DerUebersetzer.
*
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1883/0506