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522 Psychische Studien. X. Jahrg. 11. Heft. (November 1883.)
nungen: „Greisenhaftes" oder „Senilia" (1882), bringt Eugen
Zabel in seinen „Portraits aus dem russischen Literaturleben
" in „Unsere Zeit" (Leipzig, Brockhaus) 7- und 8. Heft
1883 S. 205 ff. folgende Schilderung seiner Arbeitsmethode
aus der Feder von Ludwig Pietsch, einem der besten Kenner
der Muse Turgeniew's, (in „Nord und Süd" Novemberheft
1878): — „Wenn Turgeniew schrieb, geschah es jederzeit
„nur unter dem Zwange einer ihn beherrschenden und treibenden
unerklärlichen Macht. Er sah ein bestimmtes Bild,
„eine Einzelgestalt oder Gruppe. In einer gewissen Befeuchtung
und Farbenstimmung trat sie vor sein inneres
„Auge, zuweilen eine solche, die er einmal in der Wirklichkeit
gesehen hatte; ebenso oft aber auch, ohne dass er
„wusste, woher sie kam. Die Erscheinung belästigte ihn,
„peinigte ihn selbst, wochen-, monatelang; kehrte unablässig
„immer wieder, als ob sie von ihm ihWb objective Gestaltung
„in einem Kunstwerk gebieterisch verlangte. Wie gern
„hätte er sich derselben entzogen; auf die Länge konnte
„er es nicht. Dann fühlte er sich wie von einem Nebel-
Gewölk umgeben. Immer deutlicher gestaltet, treten aus
„denselben einzelne, meist russische Figuren, Männer und
„Weiber von verschiedenstem Alter, Beruf, Aussehen, Sprache,
„Benehmen, zuletzt in leibhafter Klarheit heraus, die in
„irgend einer, dem Dichter selbst noch unbekannten Beziehung
zu jener Hauptgruppe oder Hauptfigur standen. Er
„hörte sie mit sinnlicher Deutlichkeit sprechen. Sie erzählen
ihm ihre Lebensgeschichte, ihre Absichten. Er
„kann bs nicht mehr vermeiden, ein Aktenstück anzulegen,
„in welchem er, unter dem Namen jedes einzelnen von ihnen,
ihre Mittheilungen niederschreibt.4' U. s. w. — Wer von
Kennern der sog. Schreibmediumschaft ersähe mit uns in
dieser Schilderung nicht die geistigen Wurzeltriebe der
Inspiration jedes in dieser unbewusst-nothwendigen
Weise künstlerisch schaffenden Genius? Nur sind bei diesem
die Verstandesfunctionen des wachen Bewusstseins regulirend
mitthätig, während bei der im ohnmaehtähnliehen statu-
volischen oder hypnotischen Zustande ausgeübten Schreib-
mediumschaft fast jede Selbstkontrolle fehlt. Von hier aus
wird vielleicht besser verständlich, warum Dr. Fahnestock
seinen statuvolisch zu heilenden Patienten (vergl. „Psych.
Stud." Maiheft ltfttt S. 207) den Eath «iebt, dass sie vorher
den ganz festen Entschluss fassen sollen dessen,
was sie für Heilung wünschen. Sie könnten sich dabei auch
die beste erkenntnisstheoretische Methode für Beurtheiiung
ihres eigenen Zustandes und des in ihm Geoffenbarten zum
Selbstzweck nehmen, damit nicht bloss traumhaft - phanta-
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