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544 Psychische Studien. X. Jahrg. 12. Heft. (December 1883.)
selbst dann muss für ihn unabweisbar die Frage entstehen,
welche werth ist gelöst zu werden, — die Frage: wie und
wesshalb können Leute, welche unzweifelhaft wahrheitsliebend
und vernünftig sind, so leicht in eine grobe Täuschung
verfallen?
Mit einem soliden, wissenschaftlichen Ruf und mit
grössten Zweifeln nahen sie dem Gegenstande, mit dem gewissenhaften
Vorsatz, sich eine bestimmte und gründliche
Ansicht darüber zu bilden, und ein Jeder von ihnen kommt
zur Ueberzeugung, dass mediumistische Erscheinungen wirklich
existiren. Wenn diese Ueberzeugung auch falsch wäre,
lohnt es sich denn nicht, die Frage zu beantworten, auf
welche Weise diese Ueberzeugung entsteht, wie zu derselben
Männer, wie ein Hare, De Morgan, Wallace, Crookes, Flammarion,
Weber, Zöllner, Fechner, Perty, Fichte, Ulrici, Ostrogradsky
und viele andere verdienstvolle Vertreter der Wissenschaft
gelangen konnten?
Die Beziehung zu unserer Frage auch derjenigen Gelehrten
, welche einigermaassen an derselben Interesse zu
haben versichern und nicht abgeneigt sind, eine nähere Bekanntschaft
mit den Erscheinungen zu machen, ist oft ganz
verkehrt. In einem jeden anderen Falle hält es Jeder, der
sich mit irgend einem Gegenstande beschäftigen will, für
nothwendig, erst die Litteratur dieses Gegenstandes kennen
zu lernen; hier hingegen wird gewöhnlich die Litteratur gar
nicht beachtet. Ich spreche natürlich nicht von der ganzen
äusserst umfangreichen Litteratur des Mediumismus in den
verschiedensten Sprachen: sie enthält zweifelsohne viel
Ballast, Uebertreibung und Verirrungen; haben sich aber
Viele wohl der Mühe unterworfen, wenn auch nur z. B. die
Abhandlungen von Wallace, die Untersuchungen von Crookes,
den „Bericht des Comite's der Londoner Dialektischen Gesellschaft
", die Werke Zöllners und Fechner's gewissenhaft
und geduldig durchzulesen? Und doch kann dieses Lesen
genügen, um sich eine ernste und richtige Ansicht über den
Gegenstand zu bilden und denselben ohne jenes Prisma
vorgefasster Meinungen, welche durch wissenschaftlichen
Dogmatismus erzeugt werden, zu betrachten.
Immerfort hört man den Vorwurf, dass die Vertheidiger
des Mediumismus die Existenz der einen oder der anderen
Thatsache nicht hinreichend genau festgestellt haben; die
Veranlassung zu diesem Vorwurf liegt jedoch gewöhnlich
nur in der Unwissenheit des Vorwerfenden; in der Wirklichkeit
sind aber die Worte Wallace's ganz richtig, wenn
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