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32 Psychische Studien. XI. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1884.)
Tagesneuigkeiten, Notizen u. dergl.
Zwei Visionen nud ihre KeaUtät.
Leiden einer Tod ten - ist die in einer auswärtigen
Zeitschrift enthaltene und in der „Allg. Modztg."
Nro. 48 v. 26. November 188,*! ausführlich \viedergegel)ene
angebliche Vision einer Verstorbenen von einer unbekannten
Verfasserin betitelt, die wir hiei aufs Wesentlichste
abkürzen und weiche den Geisteszustand einer soeben gestorbenen
Mutter gegenüber ihrem Gatten und ihrem Kinde
dn stisch schildert. Während sie sich im Hause hinab und
hinauf bewegt, sieht sie Alles, aber sie wird von Niemand
gesehen. So findet sie ihrai Gatten im Jammer seines
Verlassenseins and vermag ihn nicht zu trösten. Ihr Kind
sieht sie nur in seiner Wiege und fühlt sich wohl bei ihm.
Sie nähert sich ihrem Gatten und legt die Hand sanft auf
fcoine Schulter, er erbebt in bitterlichem Schluchzen. Sie
hatte kein 2Iaass mehr für Zeit und Kaum.
Am darauf oder später folgenden Tage befindet sie sich
in einem weiss behangenen Zimmer mit einem Bett, auf
dem eine verhüllte menschliche Gestalt lag. Zu dieser
todten Gestalt trat ihr GaUe bleichen Antlitzes, gesenkten
Hauptes, mit von Thränen getrübten Augen. „Ich streckte
meine Arme nach ihm aus, jedoch er ging vorüber, ohne
es zu beachten; ich rief ihn beim Kamen, allein er hörte
mich nicht. Er schritt zu dem Bette, kniete nieder und
zog das Tuch von dem Gesichte der Leiche." - - „'0 nein,
„nein!7 schrie ich auf, 'das bin ich nicht! Ich stehe hieran
„Deiner Seite, raein Gatte! 0, mein Geliebter, mein Geliebter,
„das dort bin ich nicht! ich bin hier, sieh mich an, sprich
„zu mir — ich bin hier!' Allein meine Worte erstarben,
„er hörte sie nicht, und ich wusste, dass ich lautlos war
..für immer , . . Er aber kniete immer noch und weinte
, und sprach immer noch zu dem, was ihn nicht mehr sah
„und hörte, und was nur noch auf das Grab wartete . . .
„Ich konnte ihm nicht folgen —- ich hatte keine Thränen
„zu weinen, keine "Worte zu sprechen . . . [eh blickte in
„dem Zimmer umher, und es erwachten Erinnerungen in
„mir an Leiden und Schmerz . . . Da erblickte ich in einer
„Ecke des Zimmers einen unbefangenen Spiegel; ich schritt
„auf ihn zu, ich stellte mich vor ihn hin, ich blickte hinein,
„jedoch — ich sah Nichts. Alles Andere, die welkenden
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