http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1884/0043
Wittig: Zwei Visionen und ihre Realität. 35
scheinung mehr darbietet, da er ja alle seine irdische Leiblichkeit
mit dem Tode abgelegt hat. Nur in der .Erinnerung,
welche lediglich aus Sinnlichem schöpft, vermag er in seiner
früheren körperlichen Erscheinung wieder aufzutauchen.
Die Schwester der Erinnerung ist aber die neue Gestalten,
Situationen und Scenen schaffende Einbildungskraft
oder Phantasie, welche sich einen Geist ebenfalls nur
im Bilde der gegebenen Erinnerung, allerdings mit Modifikationen
und Verwandlungen dieses Bildes, vorzaubern
kann. Haben wir aber mit alledem schon einen wirklichen,
jenseitigen, transcendenten Geist, der doch alle irdische
Leiblichkeit und Sinnlichkeit notorisch von sich abgelegt
hat mit seinem Erdenleibe ? — Wie ein solcher vom irdischen
Sinnenleibe befreiter Geist sich zu den Dingen dieser Erde
verhält, wissen wir noch ebenso wenig, als wie er sich zu
den Dingen der ihn umgebenden Geisterwelt verhält. Wir
wissen nur, wie unsere Sinne und Nerven in gewissen Zuständen
ihrer normalen und anormalen Spannung sich zu
irdischen Dingen verhalten, da wir transcendente Dinge absolut
nicht kennen, sondern nur schlussfolgernd auf solche
hinüberschliessen. Aber diese Schlussfolgerungen sind
ebensowenig wie ein Regenbogen eine feste Brücke aus
dem Diesseits ins Jenseits für unsere Sinne. —
Selbst ein viel farbenprächtigeres Seitenstück zu dieser
betrübenderen Erfahrung einer Gattin und Mutter, das wir
in A. J.Davis' „Penetralia" p. 174 ff. unter der Frage
finden : — „Kannst Du das Leben und die Gesellschaft des
Geisterlandes dem gewöhnlichen Verstände noch besser
schildern?" — und das die Geschichte einer siebenten
visionären Begegnung zwischen Davis und seiner im „Zauberstabe
" geschilderten ersten Gattin berichtet, die sich im
Geisterlande „C y 1 o n i a" (des Morgens Braut) nennt und
ihrem zweiten irdischen Gatten Davis ihre dortige neue
Ehe mit ihrem nunmehr dort allein geliebten Beschützer
„Cyloneos" (Morgenstrahl) mit reizender Naivetät eröffnet,
hat uns trotz der hohen Wahrscheinlichkeit und der Romantik
einer solchen Situation doch nur als ein schönes poetisches
Gebilde anzumuthen vermocht. Ein positiver Beweis ist
für die Art und Weise des Lebens transcendenter Geister
im J enseits für unsere irdischen Sinne und Begriffe schwerlich
beizubringen. Hier verliert der noch auf Erden lebende
Gatte Davis in der Rückerinnerung an seine Vision seine
erste Gemahlin nochmals im Geiste. Zwar sagt er: — „Aus
„meinen Entdeckungen über die verschiedenen Temperamente
„und ihre ehelichen Verbindungen (in „Der Reformator"),
„dass nämlich nur gewisse Verbindungen ewig aneinander
3*
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1884/0043