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52 Psychische Studien. XL Jahrg. 2. fleft. (Februar 1884.)
Aberglauben feind bin, umsomehr der Erfindung falscher
"Wunder, und doch vor meinem Erzbischofe nichts verhehlen
möchte, sogar nicht meine eigenen Schwächen, halte ich es
für meine Pflicht, folgendes Ereigniss Ihrer Einsicht zu
unterbreiten. — nicht als etwas Unmögliches; denn die
Gnade Gottes ist noch nicht verarmt und wird nicht verarmen
, — sondern als ein in unsern Zeiten seltenes, wohl
gar unerhörtes Ereigniss. —
„Nachdem ich beinahe 4 Jahre in Unalaschka gewirkt
hatte, begab ich mich während der grossen Pasten zum
ersten Male auf die Insel Akun, um die dortigen Aleuten
zur österlichen Communion vorzubereiten. Als ich mit
meinem Kahne bei der Insel landete, traf ich die Bewohner
derselben im Sonntagsputz, wie zu einer Feierlichkeit beim
Ufer versammelt, und als ich den Fuss aufs Land setzte,
drängten sich mir Alle hocherfreut mit beispielloser Zuvorkommenheit
und Zärtlichkeit entgegen.
,/Wesshalb seid Ihr denn so geschmückt ?' fragte ich.
,/Wir wussten, dass Du zu uns unterweges und heute
„bei uns anlangen würdest, da eilten wir Dir aus Freude
entgegen/ —
„'Wer hat Euch denn gesagt, dass ich heute zu Euch
„käme — und woher wisst Ihr, dass ich Vater Johann Benjamin
bin?' —
,/Unser Schamane, der Greis Iwan Smyrennikow, sagte
„uns: "Bereitet Euch! heute kommt der Priester, um Euch
„beten zu lehren — schon ist er auf dem Wege." Er hat
„urs auch Dein Aeusseres beschrieben, so wie wir Dich nun
„vor uns sehen. Jetzt ist er abwesend; wenn er kommt,
„werden wir ihm sagen, dass Du hier bist, — er wird sich
„Dir aber auch ohne dies vorstellen.'
„Obwohl mich dies alles in Erstaunen setzte, schenkte
ich dem Vorgange doch keine weitere Beachtung und begann
den Vorbereitungsunterricht bei den Aleuten. Da trat
auch der greise Schamane mit dem Wunsche vor mich, sich
an den heiligen Sakramenten betheiligen zu dürfen, und er
wohnte dann den Lehrstunden höchst regelmässig bei. Dennoch
widmete ich ihm nicht mehr Aufmerksamkeit als den
Anderen und vergass sogar, ihn bei seiner Beichte zu befragen
, wesshalb eigentlich die Aleuten ihn Schamane nenoen,
und ihm diesbezüglich eine Zurechtweisung zu geben, und
entliess ihn mit den Andern nach Empfang der heiligen
Sakramente. Da drückte er dem Thoen (Schulzen) seine Unzufriedenheit
darüber aus, dass ich ihn in der Beichte nicht
befragt habe, wesshalb die Aleuten ihn Schamane nennen, da
es ihm doch höchst unangenehm sei, einen solchen Spitznamen
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