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Rössler: Goethe's „Faust" in seinem Verhältniss zur Magie. 85
gleich als todte Schlacke verwirft, sondern den innern Trieb
in sie hineinlegt, den sie dafür mit holden Schranken, um
wiederum Goeth'isch zu reden, umfangen und so die lebendigen
Gestalten hervorbringen." . . .
„Auf das graue, düstere, heftig bewegte und aufbäumende, *
dann wieder melancholisch hinschleichende Mollthema der
Verzweiflung baut sich in Faust und wechselt mit ihm ein
strahlendes, muthiges und doch wieder in Moll versinkendes
Thema. Dieses zweite Thema ist der Glaube Fauste1
an die Magie und der wirkliche Verkehr, in
welchen er durch das Mittel der Magie mit
einer höherenGeisterwelt tritt. Die Dichtung
betritt hier den Boden eines phantastischen Glaubens, dessen
Vorstellungen oder Einbildungen sie als lebendige That-
sachen, als wirkliche Vorgänge behandelt. Diese Aufnahme
einer phantastischen "Welt muss der Dichtung erlaubt sein
und ist ihr erlaubt. Sie hat dabei nur zwei Bedingungen
oder Gesetze zu beobachten. Die erste Bedingung ist, dass
der Zusammenhang, das Lebensgesetz der phantastischen
Welt, möge es unter welchem Einfluss immer ersonnen sein,
eingehalten werde; die zweite Bedingung ist, dass die ethische
Natur des Menschen, wenn auch unter anderen als den
Bedingungen des natürlichen Lebens, hier nur um so energischer
zum Vorschein komme." —
„Faust erhebt sich zum Verkehr mit einer höheren Geisterwell
Er hat sich der Mittel zu diesem Verkehr, welche
der Apparat der Magie darbietet, bemächtigt. Wir
müssen aber auch fragen, nachdem wir das allgemeine Recht
der Dichtung, ein phantastisches Element dieser Art aufzunehmen
, für ausser Zweifel erklärt haben, zu welchem
Zweck der Dichter hier zu diesem Mittel gegriffen hat, und
ob er sich desselben in seinem Falle mit Becht und mit
richtiger Anwendung bedient hat? Der jugendliche Goethe,
als er das magische Motiv in seine Eaustdichtung aufnahm,
hat sicherlich nicht daran gedacht, seinen Helden durch die
Magie von jener Pein der Endlichkeit zu erlösen, die der
nach dem Schauen des lebendigen Ganzen dürstende, in
die todten Schranken eines kleinen Ich eingeschlossene Geist
empfindet. Jene Aberweisen, welche dem Dichter zum Vorwurf
machen, dass er an das Wissen unmögliche Anforderungen
stelle, sollten vielmehr erkennen, wie die frühe Weisheit
des Genius sich darin zeigt, dass der Dichter den verzweifelnden
Faust auf einen Weg führt, wo die unmittelbare
Anschauung des freien Lebens zwar am Ziele liegt, wo
aber auch ihre Unverträglichkeit mit der Natur des endlichen
Geistes offenbar wird. So klingt das stolze Motiv der M a g i e
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